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Zirkus zur dreizehnten Stunde

Zirkus zur dreizehnten Stunde

Titel: Zirkus zur dreizehnten Stunde
Autoren: Cassy Fox
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Töpfchen und Fläschchen sammelten sich auf dem Tisch. Ketten und Anhänger von seltsamer, fremdartiger Machart waren, an den Wänden hängend, zu finden. In einer Ecke lagen Totenschädel von Wesen, die nicht mehr zu erkennen waren, seltsam deformiert und Federn von bizarrer Größe und Farbe. Sanduhren lagen in der Nähe, erstarrt in ihrer Position. Waagen in unterschiedlichen Größen und Materialien mit detaillierten Verzierungen hingen starr an den Wänden. Die Luft war geschwängert vom Duft eines Räucherwerkes. Er hatte sich regelrecht in die Stoffe und das Holz eingenistet.
    Der Blick ging durch den Raum. In einer gegenüberliegenden Ecke waren Kissen und Decken zu einem gemütlichen Schlafplatz angehäuft. Er schien die Frau zu sich herabzuziehen. Mit einem Seufzen gab sie dem Ruf nach. Ihr Atem wurde ruhiger. Ihr Blick verlor die Angst. Der unhandliche Packen lag neben ihr und langsam schlug sie die Stofflagen zurück.
    Ein Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Blonde Haare hingen ihm zerzaust in die Stirn. Das Kleid war überall zerrissen und …
    „Du hast wieder jemanden mitgebracht?“, die Stimme unterbrach sämtliche Gedanken. Jemand hatte den Wagen betreten. Unbemerkt.
    Ruckartig sah die junge Frau auf. Der Blick aus blinden Augen war frei von Gefühlen. Die Besucherin sah sie einfach an. Lange, dunkle Haare ließen ihre Haut noch bleicher wirken. Ein Schal lag um ihren Hals, der teilweise das Gesicht verschwinden ließ. Mit einer ruhigen Bewegung kam sie näher. Der Stoff ihrer Ärmel verrutschte, gab den Blick auf die Hände frei. Alte Hände, von Adern durchzogen und von Altersflecken bedeckt. Die Haut wie Pergament, ein Kontrast zu dem jugendlichen Antlitz.
    „Ich musste es tun“, ein Seufzen erklang als Antwort. Der Ton war belegt und schien gar keine Kraft mehr zu haben. Sie senkte den Blick, sah zu dem Mädchen. Ein sanftes Atmen begann den kleinen Körper zu entspannen. Die verkrampften Hände schienen eine weichere Haltung zu bekommen. Es spürte, dass es in Sicherheit war.
    Ein leichtes Quietschen. Die Besucherin kam näher und sah sich das schlafende Kind an. „Sie ist –“
    „Eine von uns!“ Tränen! Plötzlich kamen Tränen in die Augen der Retterin. Warum? Sie hatten es geschafft. Sie waren hier. Die Wunden würden heilen, Kleider konnte man wechseln. Alles war in Ordnung! Sie berührte die Haut des Kindes. So kalt, die Nacht hatte sie völlig ausgekühlt. „Sie war schon immer bei uns. Sie gehört zu uns!“ Ein neues Kind, ein neues Leben. Ein Leben, das sie hierhergebracht hatte, das zu ihnen gehörte.
    „Antigone“, nun kehrte doch so etwas wie Gefühl in die Stimme der Dunkelhaarigen. Mitleid? Sorge? Was genau war es?
    „Kismet, wir können sie nicht zurücklassen.“ Die Angesprochene schlug die Augen nieder. Das Mädchen war noch so wahnsinnig jung. Und nun herausgerissen aus einer Welt, die ihr vertraut war. „Sie ist eine von uns …“ Ihre Stimme verlor sich. Das Mädchen war so unschuldig, so rein.
    „Es ist dein Zirkus, Antigone, du entscheidest.“ Kismet wandte sich um und ging zur Tür.
    Was war in ihrer Stimme gewesen? Ein Ton, der mitschwang und die Worte seltsam zu verzerren schien. Trotz? Wut? Es war nicht auszumachen.
    „Kismet“, noch einmal hielt Antigone sie auf. „Hast du etwas gesehen?“
    „Du weißt, dass ich immer etwas sehe“, noch einmal wandte sich der blinde Blick zu ihr. „Aber alles, was ich sehe, ist nicht für euch bestimmt.“
    Antigone ließ den Kopf sinken. Natürlich. Es war schon immer so gewesen. Kismet war eine der Ältesten im Zirkus. Es war lange her, seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Zusammen hatten sie den Zirkus aufgebaut. Zusammen stimmte nicht ganz. Antigone hatte alles in die Hände genommen. Kismet war einfach … da gewesen und hatte im Zirkus ihren Platz als Wahrsagerin eingenommen. Sie alterte nicht, veränderte sich nicht. Seit jeher hatte sie die gleichen alten Hände … dasselbe jugendliche Gesicht. Das Aussehen gab in diesem Zirkus wenig preis über die wahre Anzahl der Lebensjahre. Auch Antigone war dem Alterungsprozess fast entflohen. Der Grund dafür? Die Herkunft. Das Blut, das in jedem floss hatte eine Macht, die außerhalb des Menschlichen stand. Dazu gehörte bei vielen auch die Macht, das Altern zu verhindern oder zu verlangsamen.
    Darum versuchte sie alle zu retten. Manche waren entstellt. Der eine mehr, der andere weniger. Kinder des Zwielichts, verstoßene Wesen …
    Von
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