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Zirkus zur dreizehnten Stunde

Zirkus zur dreizehnten Stunde

Titel: Zirkus zur dreizehnten Stunde
Autoren: Cassy Fox
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riss sie zurück in die Realität. Der Zirkusdirektor. Der Mann, der mit seiner Stimme alle anzog. Sein Anzug, in kräftigem Blau, flatterte im Wind. Der aufwendig bestickte Stoff fiel selbst unter Individuen auf.
    Antigone lief zu ihm. Ein zufriedenes Lächeln lag auf seinen Lippen, er zückte den Hut und verbeugte sich leicht in ihre Richtung. Seine grauen Augen spiegelten etwas, das jeden gefangen nahm. Bewegung schien darin zu sein, wie aufgewühltes Wasser. Der typische, feine Oberlippenbart, derart elegant geschnitten, dass man meinen könnte, er würde sich mit nichts anderem beschäftigen, als der Pflege von eben diesem. Ja, Maurice lebte seine Stellung im Zirkus förmlich aus, wann immer es ging. Diese Art des Auftretens, das Fesseln der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer und sein Organisationstalent, zeichnete ihn einfach aus. Was wäre sie nur ohne ihn? Manchmal schien er alleine den gesamten Geist des Zirkus widerzuspiegeln. Er war Direktor mit Leib und Seele. Antigone nickte ihm zu und ging zu ihrem eigenen Wagen.
    „Ladies und Gentlemen“, tönte die gewaltige Stimme des Direktors über den Platz. „Wir begrüßen Sie nun zu einer Fahrt, die sie noch nie erlebt haben. Verlassen Sie ihre Gefährte bitte nicht und beachten sie die atemberaubende Landschaft, die wir Ihnen nun zeigen werden.“
    Die Karawane setzte sich in Bewegung und zog in die Dunkelheit hinaus.
    Niemand ahnte, dass sie hier gewesen war. Sie hinterließ keine Spuren, hatten nichts zurückgelassen. Menschen, die die Lichtung später erreichten, sahen keine Reifenabdrücke und auch sonst nichts auf dem weichen Waldboden. Sie fanden keine Hinweise, wer hier gewesen war oder wohin sie gegangen waren. Alles war still und ohne einen Schuldigen verrauchte irgendwann die Wut der Bewohner. Sie würden sich damit abfinden, würden vergessen und irgendwann würde sie der Alltag zurückerobern. Geschichten wären alles, was vielleicht noch überlebten. Selbst diese würden jedoch irgendwann einfach verschwinden …
    Der Zirkus reiste weiter. Verschwand zu seiner Stunde, zur dreizehnten Stunde, einer Zeit, die Sterbliche niemals erreichen würden. Der Zirkus war selbst ein Wesen aus einer anderen Welt.
    Und wenn die dreizehnte Stunde schlug, tauchte er erneut auf, öffnete an einem anderen Ort seine Tore und gab den Blick auf eine Welt frei, die vielen sonst unbekannt bliebe. Die Zuschauer ahnten nicht, was hinter den Tüchern verborgen lag, sahen nur die Fassade, den Schein und ließen sich davon verzaubern.

2. XI – Die Justiz
    „Jack!“, mit einem Aufschrei stob das Mädchen um die Ecke und verfolgte den Jungen, der gerade auf allen Vieren zwischen den Wagons davonwetzte. Seine Arme waren extrem lang, ebenso seine Beine und sie erinnerten eher an die Gliedmaßen eines abgemagerten Hundes, als an die eines Menschen. Das Gesicht, langegezogen und bleich, endete in etwas, das man wohl eine Schnauze nennen konnte. Im Großen und Ganzen erinnerte sein Antlitz an das eines Windhundes. Ein Grinsen entblößte seine spitzen Zähne, die er zum Teil in ein kleines Bündel versenkt hatte. Elegant nahm er die nächste Ecke. Jack kam mit den Händen auf und rannte in einem neunzig-Grad-Winkel weiter … direkt in eine Sackgasse!
    „Jack!“ Sie erreichte ihn, bevor er wenden und wieder davonrennen konnte, und versperrte ihm den Weg. Ihr Atem ging keuchend und stoßweise und ihre Kleidung war von der Hetzjagd unordentlich. Das sanfte Weiß hatte sich in ein schmutziges Braun verwandelt. Einige Risse verunzierten den Stoff und ihre Haare hingen ihr teilweise nass ins Gesicht.
    Jack war ihr immer schon, in Sachen Ausdauer und Geschwindigkeit, um Einiges voraus gewesen. Doch dieses Mal hatte das Glück auf ihrer Seite gestanden. Sie baute sich vor ihm auf. Der Rücken gerade, die Hände fest in die Hüften gestemmt.
    „Jack, gib mir das!“, herrschte sie ihn an.
    Als Antwort kam nur ein Knurren und seine Augen verengten sich noch mehr zu Schlitzen.
    „Jack, nun –“
    „Was ist hier los?“ Die Stimme unterbrach sie. „Muss hier immer ein solches Chaos herrschen?“ Es war Antigone! Die Anführerin dieses Zirkus oder auch der Geist der Ordnung, der alles kontrollierte. Faith trat einen Schritt zurück, Jack krümmte sich zusammen, wie ein geschlagenes Tier.
    „Jack hat etwas gestohlen. Ich wollte nur –“, begann Faith selbstsicher, doch ein Blick aus Antigones Augen brachte sie zum Verstummen. Ein Schritt zurück, lieber zwei. Sie stand
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