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Ein Kind, das niemand vermisst

Ein Kind, das niemand vermisst

Titel: Ein Kind, das niemand vermisst
Autoren: Kody DeVine
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Prolog
     
    Atemlos lehnte sie sich mit dem Rücken an das Torhaus der Burgruine. Ihr ganzer Körper zitterte, sie spürte wie das Blut in ihren Adern pulsierte. Jeder einzelne Atemzug schmerzte in Lunge und Brustkorb. »Er ist nicht hier, er ist nicht hier«, flüsterte sie und strich sich beruhigend über den Bauch, wie es ihre Mutter früher immer getan hatte.
    Nur allmählich regulierte sich ihre Atmung. Wie eine Wahnsinnige war sie den Hügel herauf gerannt, in der Hoffnung sich im Torhaus verstecken zu können, so wie Sean einst, als er noch klein gewesen war. Er hatte ihr vor langer Zeit davon erzählt und sie hatte sich immer gefragt, ob es dort wirklich so unheimlich war, wie er beschrieben hatte. Doch das Torhaus war verschlossen; dicke Eisenstreben versperrten den Weg zur Tür. Ein Schild informierte Besucher über Restaurierungsarbeiten. Dunby Castle war im späten 13. Jahrhundert gebaut worden und während des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert nahezu komplett zerstört worden. Lediglich das Torhaus war noch fast vollständig erhalten.
    Einen Schritt vor den anderen setzend, ging sie an den Überresten der Kalksteinmauer entlang auf die andere Seite des Hügels und setzte sich schließlich auf einen alten Baumstamm. Ihr Blick glitt zu dem nahegelegenen Wäldchen. Überall knackte es, Vögel flatterten aufgeschreckt aus den Baumwipfeln, in den Büschen raschelte allerlei Getier auf der Suche nach Nahrung. Wenn er ihr gefolgt war, hätte er sie bestimmt schon eingeholt, ging es ihr durch den Kopf. Doch die Panik ließ nicht nach. Vielleicht kam er jeden Moment hinter dem Torhaus hervor. Sie wagte es nicht, den Kopf zu drehen. Wie hypnotisiert starrte sie auf die Baumwipfel, die im Wind leicht hin und her schwangen, als bewegten sie sich zu einer Melodie, die keiner hören konnte. Vielleicht sollte sie nach Hause laufen und die Polizei rufen. Dann wäre sie in Sicherheit. Doch im nächsten Moment verflog das zart aufkeimende Gefühl der Hoffnung wie eine lästige Rauschschwade. Er kannte keine Skrupel. Er wusste, wo sie wohnte und dort würde er sie zuerst suchen.
    Noch immer konnte sie nicht glauben, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Vielleicht war das alles nur in ihrer Einbildung passiert? Hatte ihre Lehrerin ihr nicht erst vor Kurzem gesagt, sie habe eine blühende Fantasie? So fest sie konnte, kniff sie die Augen zusammen, als ob sie so die Bilder, die sie schlagartig überfielen und wie ein Wasserfall über sie hereinbrachen, aussperren konnte. Doch ob sie die Augen nun geschlossen hielt oder sie öffnete, überall sah sie das scharfkantige Messer und das Blut...überall war Blut gewesen....
    »Es ist nicht passiert. Es ist nicht passiert«, flüsterte sie in einem Singsang und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück, während das Zittern ganz allmählich nachließ.
     
     
     
     
     
     
     
     

1
     
    Es war kurz nach sieben Uhr am Morgen, als Ben Cunningham die Treppe hinunter eilte, in der einen Hand einen halbvollen Becher Kaffee, in der anderen den Schlips, den er oben vergeblich versucht hatte umzubinden. »Gib her«, sagte seine Frau Gemma lachend, als er die Küche betrat, atemlos; die Wangen rot gefleckt vor Wut über sich selbst.
    »Ich hätte diese Woche schon Urlaub nehmen sollen. Wieso habe ich diese Woche keinen Urlaub genommen?«, fragte er aufgebracht, während seine Frau mit wenigen Handgriffen die Krawatte band.
    »Weil ich dich sonst heute Nachmittag ins Theater geschleppt hätte.«
    Er verdrehte die Augen. »Warten auf Godot wäre mir zehn Mal lieber als dieser Mord.« Er trank den restlichen Schluck Kaffee und stürzte zur Haustür.
    »Daran erinnere ich dich, wenn ich wieder mal zwei Theaterkarten habe«, rief Gemma ihm hinterher.
     
     
     
     

     
    »Das Opfer heißt Jayden Hawthorn. Achtzehn Jahre alt. Wurde wie es aussieht mit einem Küchenmesser erstochen. Lebte hier mit seiner Freundin zusammen.« Der junge Constable schob seine Mütze zurück und starrte noch eine Weile auf seinen Notizblock. Er war sichtlich grün im Gesicht und Cunningham verspürte einen Anflug von Mitleid. »Bleiben Sie im Eingang stehen und  halten Sie uns etwaige Schaulustige fern.»
    »Ja, Sir.»
    »Die Freundin hat ihn gefunden?«, fragte Cunningham.
    »Jep. Alice Brown. Sie ist im Wohnzimmer, völlig durch den Wind. DS Haines ist bei ihr.« Der Constable klappte den Notizblock zu und blickte Cunningham erwartungsvoll an. Dieser nickte unmerklich und schob sich durch den
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