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Zirkus zur dreizehnten Stunde

Zirkus zur dreizehnten Stunde

Titel: Zirkus zur dreizehnten Stunde
Autoren: Cassy Fox
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abwenden und dann begann sich der Schleier zu heben. Sie spürte es. Ihre Augen bekamen plötzlich Farbe!
    „Oh mein Gott“, flüsterte sie. Mit einem Keuchen brach sie zusammen, schlug die Hände vors Gesicht. Als sie diese langsam wieder entfernte, konnte sie sehen. Wirklich sehen! Alles war verschwommen und undeutlich. Aber sie sah eindeutig die Umrisse ihrer Hände vor ihrem Gesicht. Kismet hob fassungslos den Blick und erkannte Maurice vor sich, der ihr in die Augen sah.
    Ein Lächeln verzerrte seine Lippen.
    „Scheinbar wurde dein Schicksal gerade neu geschrieben.“
    Kismet war fassungslos. Sie konnte sehen, konnte die Welt erkennen. Doch dafür war alles weg. Die Schicksalsfäden waren verschwunden. Nicht ein letzter Schein war davon übrig. Sie sah nicht mehr, wohin alles führte, sah nicht mehr die Zukunft. Nur noch die Gegenwart erstreckte sich vor ihr, farblos ohne die seidenen Fäden, die sie so lange verfolgt hatte. Wie konnte das passieren? Keine Seherin hatte jemals ihr Augenlicht zurückbekommen.
    Es war unmöglich! Es wurde nicht geduldet! Keine Macht der Welt konnte ihr ihre Sehkraft zurückgeben. Keine Macht … dieser Welt.
    Sie hob den Blick, langsam, stockend.
    Clotho . Das Mädchen saß auf dem Wagen. Purpurne Augen, silberne Haare. Ein Blick, der so alt war, dass niemand jemals erahnen konnte, wie viel er schon gesehen hatte. Ein Blick voller Hass.
    „Was … passiert hier?“, flüsterte Kismet.
    „Der Zirkus schreibt die Geschichte neu.“ Das Lächeln auf Maurices Gesicht schien zufrieden. „Sie ist zurück.“
    Ein Fauchen wurde von dem Wagen laut. Eher einem Kreischen ähnlich, das alles in der Seherin zum Erstarren brachte. Trotzdem wandte sie sich um. Am Rande des Lagers erkannte sie eine Gestalt. Sie hielt sich die Schulter, schlurfte und taumelte voran.
    ***
    Die Gestalt brach zusammen, blieb einen Moment lang keuchend sitzen. Dann hob sie den Blick, sah sich hektisch um. Ihre Stimme war nur noch ein wildes Heulen. Dazwischen brach sie immer wieder in wildes Weinen und Klagen aus, das sich zu einem schreienden Crescendo erhob und nicht mehr abklingen wollte.
    Die herbeigeeilten Schausteller versuchten zu helfen. Doch sie wehrte sich, griff alles an, was ihr zu nahe kam und schrie.
    Verwirrung machte sich unter den Zirkusmitgliedern breit.
    Mischka versuchte noch einmal zu ihr zu gelangen. Ein Schlag. Die Schneiderin flog durch die Luft, prallte an einen der Wagen und blieb keuchend liegen.
    Angst erschien auf den Gesichtern der Anwesenden. Sie wichen zurück, wagten es nicht erneut sich ihr zu nähern. 
    ***
    Antigone hatte ihren Zirkus erreicht, ihr Zuhause, ihre Heimat. Doch alles war zerstört. Die Wagen waren nur noch Wracks, keiner war mehr am Leben. Plötzlich erhoben sich auch hier die ganzen Geister und Schemen und stürmten auf sie zu. Sie wehrte sich, wollte alle von sich stoßen, ihnen entkommen. Warum waren sie gestorben? Was hatte ihre Heimat zerstört? Wer hatte ihr das angetan?
    Mischka kam auf sie zu. Die Schneiderin, die so lange loyal an ihrer Seite gewesen war. Nun vollkommen bleich und ausgemergelt. Antigone schrie auf und wehrte sie ab. Sie wollte dieses Abbild vernichten. Es durfte ihr nicht zu nahe kommen. Sie lief los. Vielleicht gab es noch Hoffnung. Vielleicht war noch jemand übrig. Sie rannte zu dem Wagen der Seherin. Diese musste doch überlebt haben.
    Mit einem Sprung hechtete Antigone durch die Tür. Keine Seherin, keine andere lebende Seele, nichts. Erneut drehte sie sich um. Erstarrte!
    In der Tür stand eine Gestalt. Die dunklen Haare umrahmten das jugendliche Gesicht. Braune Augen sahen sie traurig an.
    Braune … Augen.
    „Seherin?“, flüsterte sie. Wie konnte eine Seherin, die blind war, ihr Augenlicht zurückbekommen?
    Antigone schnappte nach Luft, hatte eine Hand in Herzhöhe in ihr Hemd gekrallt, während sie sich mit der anderen abstürzte. Ein letztes Einatmen, ihr Blick ging nach oben und fixierte etwas. Ohne Vorwarnung schlug sie mit beiden Fäusten auf einen Spiegel, der an einer der Wände hing, ein.
    Ein Meer aus Splittern.
    Wie in Zeitlupe gingen die Scherben um sie herum zu Boden. Überall enthielten sie kleine Ausschnitte von Antigone. Als könnte sie jedes einzelne Bruchstück für sich wahrnehmen. Ihr Auge, ein Stück ihres Mundes, Wangenknochen, Ausschnitte ihrer Schultern, weiter über ihren Oberkörper und die Arme nach unten bis zu den Fingern.
    War sie das wirklich? Klare Augen, langes hellblondes Haar, fast
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