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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis
Autoren: David S. Garnett
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dreht sich um dieses würfelförmige Etwas auf vier Beinen. M ASCHINE sagt ihm, was geschehen ist, und oft, was geschehen wird – aber nur, weil er es M ASCHINE erzählt hat, bevor ihn sein Gedächtnis im Stich ließ. Seine Erinnerungen verschwinden so schnell wie zerbrechliche Traumbilder beim Erwachen.
    Vielleicht träumt er, und ,seine Träume werden wahr’. Wäre das nicht die vernünftigste Art, die Sache zu sehen? Er schläft schließlich den größten Teil des Tages. Es ist nicht einfach so, daß er gelangweilt ist oder daß er nicht genug zu tun oder genug Stoff hätte, um sich Gedanken zu machen. Er braucht den Schlaf. Jetzt denkt er nach und versucht, die Barriere zu durchbrechen, die sich erhebt, um ihm den Weg in die Vergangenheit zu versperren. Ein Tag, zwei, drei… zehn Jahre.
    So lange ist es her, seit er die Welt regiert, und er erinnert sich an kaum ein Zehntel von einem Prozent davon. Kann er sich auf das verlassen, was M ASCHINE ihm erzählt, wenn er sie danach fragt, wie das gekommen ist? Es scheint zu leicht, zu mühelos. Wer ist er? Wer war er, bevor er an die Macht kam? Macht? Das war der größte Witz.
    „Du“, trägt M ASCHINE ihm vor, „wußtest, daß der Mann, der damals Erster Wächter war, bald umgebracht werden würde, und als es dann geschah, hast du die Sache übernommen.“
    Ja, aber wie? Das sagt M ASCHINE nie.
    Und was hat er damals ,übernommen’? Die Weltherrschaft?! Wenn die Welt nichts ist als ein kleines Stück von Europa? Wenn das alles war, was geblieben war, nachdem die Zivilisation den Rest der Erde unbewohnbar gemacht hatte und nur noch ein paar Millionen Leute am Leben waren, die sich um etwa vierzig Generationen zurückentwickelt hatten, weil nur so – wie man sagte – die menschliche Rasse hatte überleben können? Wenn keiner von denen, die über der Erde lebten, etwas von ihm wußten, und wenn er sich nicht daran erinnern konnte, jemals an der Oberfläche gewesen zu sein, was gab es da zu beherrschen?
     
     
    Der Hofnarr zog Fells Leiche hinter sich her und ging rückwärts in den Raum des Zauberers hinein. Die Tür trat er hinter sich zu. Er zog seine Zunderbüchse heraus und zündete ein paar Lampen an, von denen Fell sich eine stattliche Sammlung zugelegt hatte. Das Tierfett brannte laut ab, und von den Dochten erhoben sich dünne schwarze Rauchfäden, um die Decke noch mehr zu verdunkeln. Die Flammen tanzten und warfen verrückte Schatten, die über die Wände huschten. Der Narr sah sich um. Seine Augen blieben an der riesigen Kiste hängen, die am Fuß des schmalen Betts stand. Sie sah aus, als sei sie aus Holz, aber der Mann wußte, daß das nicht der Fall war. Seine tastenden Finger bestätigten es ihm, als er nach dem Schloß suchte.
    Er ging zu der rotbekleideten Leiche zurück, zerrte den Wächter näher an die Kiste, hob seine rechte Hand und drückte den leblosen Daumen gegen eine kleine Aussparung an der Oberkante. Der Deckel sprang einen Fingerbreit weit auf. Der Narr ließ die tote Hand herunterfallen und hob den Deckel hoch. Er wühlte einige Sekunden lang in dem Inhalt herum. Für eine eingehende Untersuchung hatte er später noch Zeit. Er wandte sich wieder Fell zu.
    Die Pistole steckte in ihrem Halfter über dem Herzen des Mannes. Der Narr zog sie heraus, veränderte die Einstellung, legte den Sicherungshebel um und brannte sorgfältig das Schloß der Kiste heraus. Danach arbeitete er zügig und setzte das in die Tat um, was er im Kopf schon so oft geprobt hatte. Nun war er nicht mehr der lachende, hüpfende Narr; jetzt arbeitete er eiskalt und überlegt. Sein ernster Gesichtsausdruck strafte die Maske, die auf sein Gesicht gemalt war – der grinsende rote Mund, die angemalten Wangen und das gefärbte Haar –, Lügen.
    Er zog der Leiche die hohen schwarzen Stiefel aus, den Umhang, den breiten, mit Juwelen eingelegten Gürtel und das Stirnband aus Metall. Dann zog er seine eigenen weichen Pantoffeln aus, legte seine Glöckchen ab und zog die lange, nach vorn herabhängende Narrenkappe ab. Anschließend zog er das an, was er gerade Fell abgenommen hatte. Er trug noch seine Hosen und sein blauweißes Hemd, aber das machte nichts. An seinem blauen Haar konnte er ebenfalls nichts ändern. Er schnallte das Schulterhalfter über sein Hemd und wischte sich dann das Make-up weg. Er ging zur Tür und hob das Messer mit der langen Klinge auf, das er dort fallen lassen hatte, nachdem er den anderen Mann getötet hatte. Er hackte auf Fells Leiche
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