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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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schaute zu mir auf. Seine Stimme krächzte, als ob er sie jahrelang nicht gebraucht hätte.
    „Was willst du?“
    Mein Herz dröhnte und donnerte.
    „Ich sagte, was willst du?“
    Dann hörte ich sie vom Haus her nach mir rufen. „Michael! Michael! Michael!“
    Ich schlich mich wieder hinaus und trat durch die Tür ins Freie. Es war Papa. Er kam zu mir her.
    „Haben wir dir nicht gesagt …“, begann er.
    „Ja“, sagte ich. „Ja. Ja.“
    Ich fing an, den Staub von mir abzuklopfen. Eine Spinne ließ sich an einem langen Faden von meinem Kinn herabfallen.
    Er legte den Arm um mich. „Wir meinen es nur gut“, sagte er und zog mir eine tote Schmeißfliege aus dem Haar. Er schlug an die Garagenwand, dass das Ganze wackelte.
    „Siehst du?“, sagte er. „Stell dir vor, was alles passieren könnte.“
    Ich packte seinen Arm, um ihn daran zu hindern, noch einmal so draufzuschlagen.
    „Nicht“, sagte ich. „Ist schon gut. Ich verstehe.“
    Er drückte meine Schulter und sagte, alles werde bald wieder besser sein. Er lachte.
    „Klopf dir lieber den Staub ab, bevor dich deine Mutter sieht, ja?“

4
    In dieser Nacht schlief ich kaum. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, sah ich ihn durch die Garagentür heraus und durch die Wildnis zum Haus kommen. Ich sah ihn in meinem Schlafzimmer. Ich sah ihn ans Bett kommen. Er stand da, voller Staub und weiß und überall tote Schmeißfliegen.
    „Was willst du?“, flüsterte er. „Ich sagte, was willst du?“
    Ich sagte mir, ich sei dumm. Ich hatte ihn nie gesehen. Alles das war noch Teil eines Traums gewesen. Ich lag da im Dunklen. Ich hörte Papa schnarchen, und wenn ich angestrengt horchte, konnte ich das Baby atmen hören. Es atmete rau und zischend.
    Mitten in der Nacht, als sie pechschwarz war, schlief ich wieder ein. Aber dann begann das Baby laut zu schreien. Ich hörte, wie Mama aufstand, um es zu füttern. Ich hörte Mamas tröstende und zärtliche Stimme. Dann war es wieder still, und Papa schnarchte wieder. Ich horchte angestrengt nach dem Baby, konnte es aber nicht hören.
    Es wurde schon hell, als ich aufstand und in das Zimmer meiner Eltern schlich. Das Kinderbettchen stand neben ihrem Bett. Sie schliefen fest, die Arme umeinandergeschlungen. Ich schaute auf das Baby hinunter. Ich glitt mit der Hand unter die Decke und berührte es. Ich spürte, wie sein Herz schnell schlug. Ich konnte das dünne Rasseln seines Atems spüren und wie seine Brust sich hob und senkte. Ich spürte, wie heiß es da drin war, wie weich seine Knochen waren, wie winzig es war. Auf seinem Hals waren Tropfen von Spucke und Milch. Ich fragte mich, ob es sterben würde. Das hatten sie im Krankenhaus befürchtet. Bevor sie es nach Hause ließen, hatte es in einem Glaskasten gelegen, Luftschläuche und Drähte steckten in ihm, und wir hatten drum herum gestanden und zu ihm hineingestarrt, wie in ein Aquarium.
    Ich nahm meine Hand weg und wickelte das Baby wieder in die Decke ein. Sein Gesicht war totenblass und sein Haar ganz schwarz. Sie sagten mir, ich solle nicht aufhören, für das Baby zu beten, aber ich wusste nicht, was ich beten sollte.
    „Schnell, werde so stark, wie du kannst“, flüsterte ich.
    Mama wachte halb auf und sah mich dastehen.
    „Was willst du, Liebling?“, flüsterte sie.
    Sie streckte mir aus dem Bett die Hand entgegen.
    „Nichts“, flüsterte ich und ging auf Zehenspitzen in mein Zimmer zurück.
    Ich sah in die Wildnis hinab. Eine Amsel sang auf dem Garagendach. Ich dachte an ihn, wie er mit Spinnweben im Haar hinter den Teekisten lag. Was tat er da?

5
    Beim Frühstück fragte ich, was jetzt mit der Garage passieren werde. „Wann kommen sie, um sie auszuräumen?“
    Mama schnalzte mit der Zunge, seufzte und schaute zur Decke hinauf.
    „Sobald wir jemanden dafür finden“, sagte Papa. „Das ist nicht wichtig, Junge. Nicht jetzt.“
    „Okay“, sagte ich.
    Er nahm sich an diesem Tag frei, damit er am Haus weitermachen konnte. Mama brachte das Baby zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus.
    „Soll ich zu Hause bleiben, damit ich dir helfen kann?“, fragte ich.
    „Ja“, sagte er. „Du kannst Ernies Toilette hinausbringen und dann dort die Bodenbretter schrubben.“
    „Ich gehe in die Schule“, sagte ich.
    Und ich schob meine Butterbrote in die Tasche und ging hinaus.
    Bevor wir umzogen, hatten sie mich gefragt, ob ich auch die Schule wechseln wolle, aber ich wollte nicht. Ich wollte in der Schule in der Kenny Street bleiben mit Leakey und Coot. Es
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