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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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waren steinhart.
    „Nach so langer Zeit ist er schon beinahe ein Fossil.“
    „Er ist steinhart“, sagte ich.
    „Richtig. Steinhart.“
    Ich ging in die Küche und wusch meine Hände.
    „Wie war’s heute?“, sagte er.
    „Gut. Leakey und Coot sagten, sie kämen am Sonntag vielleicht zu uns.“
    „Gute Idee. Bist du denn mit den Bussen zurechtgekommen?“
    Ich nickte.
    „Vielleicht kann ich dich nächste Woche fahren“, sagte er. „Wenn wir erst mal ein bisschen aufgeräumt haben.“
    „Is’ okay“, sagte ich. „Mrs Dando hat sich nach dem Baby erkundigt.“
    „Hast du ihr gesagt, dass es ihm gut geht?“
    „Ja“, sagte ich.
    „Gut. Hol dir eine Cola und ein belegtes Brot oder sonst was. Ich mache Abendbrot, wenn die anderen kommen.“
    Dann ging er die Treppe rauf, um zu baden.
    Ich schaute über die Wildnis. Ich wartete eine Ewigkeit, hörte, wie Papas Badewasser durch die Rohre rauschte. Ich nahm meine Taschenlampe vom Küchensims. Meine Hände zitterten. Ich ging hinaus, vorbei an Ernies Toilette, dem Herd und an den toten Tauben. Ich stand vor der Garagentür und knipste die Taschenlampe an. Ich holte tief Luft und ging auf Zehenspitzen hinein. Ich spürte die Spinnweben und den Staub und ich stellte mir vor, das Ganze würde zusammenfallen. Ich hörte Tiere trippeln und kratzen. Ich drängte mich an Müll und alten Möbeln vorbei und mein Herz dröhnte und donnerte. Ich sagte mir, ich sei dumm. Ich sagte mir, ich habe geträumt. Ich sagte mir, ich würde ihn nie wieder sehen.
    Aber ich sah ihn wieder.

7
    Ich lehnte mich über die Teekisten, leuchtete mit der Taschenlampe, und da war er. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er öffnete die Augen und schloss sie wieder.
    „Wieder du“, krächzte er mit seiner rauen Stimme.
    „Was machst du hier?“, flüsterte ich.
    Er seufzte, als ob er alles gründlich satthabe.
    „Nichts“, krächzte er. „Nichts, nichts und nichts.“
    Ich beobachtete eine Spinne, die über sein Gesicht krabbelte. Er fing sie mit den Fingern und steckte sie in den Mund.
    „Sie kommen und schaffen den Müll hinaus“, sagte ich. „Und das Ganze hier könnte zusammenfallen.“
    Er seufzte noch einmal.
    „Hast du Aspirin?“
    „Aspirin?“
    „Schon gut.“
    Sein Gesicht war blass wie trockener Gips. Sein schwarzer Anzug hing wie ein Sack an seinem dünnen Körper.
    Mein Herz klopfte. Der Staub klumpte in den Nasenlöchern und im Mund zusammen. Ich biss mir auf die Lippen und beobachtete ihn.
    „Du bist nicht Ernie Myers, oder?“, sagte ich.
    „Dieser alte Schlawiner? Der sein Inneres heraushustete und überall herumspuckte?“
    „Entschuldigung“, flüsterte ich.
    „Was willst du?“, sagte er.
    „Nichts.“
    „Hast du Aspirin?“
    „Nein.“
    „Vielen Dank.“
    „Was wirst du machen?“, sagte ich. „Sie werden hier ausräumen. Alles wird zusammenfallen. Was wirst du …“
    „Nichts. Geh.“
    Ich horchte auf die Geräusche von draußen, ob sie mich riefen. „Du könntest zu uns ins Haus kommen“, sagte ich.
    Er lachte, aber er lächelte nicht.
    „Geh“, flüsterte er.
    Er nahm eine Schmeißfliege von seinem Anzug und steckte sie schnell in den Mund.
    „Gibt es etwas, was ich dir bringen könnte?“, fragte ich.
    „Aspirin“, krächzte er.
    „Etwas, was du gern essen würdest?“
    „27 und 53.“
    „Was?“
    „Nichts. Geh jetzt. Geh jetzt.“
    Ich ging wieder zurück ins Licht hinaus. Ich klopfte den Staub, die Schmeißfliegen und die Spinnweben von mir ab. Ich schaute auf und sah Papa durch das Mattglas des Badezimmerfensters. Ich konnte ihn noch „The Black Hills of Dakota“ singen hören.
    „Bist du der neue Junge hier?“, sagte jemand.
    Ich drehte mich um. Ein Mädchen streckte den Kopf über die Mauer am hinten vorbeiführenden Weg.
    „Bist du der neue Junge?“, sagte sie noch einmal.
    „Ja.“
    „Ich bin Mina.“
    Ich starrte sie an.
    „Na?“, sagte sie.
    „Was?“
    Sie machte ts, ts, ts, schüttelte den Kopf und sagte mit einer gelangweilt klingenden eintönigen Stimme: „Ich bin Mina. Du bist …“
    „Michael“, sagte ich.
    „Gut.“
    Dann sprang sie zurück und ich hörte sie auf dem Weg landen.
    „Freut mich, dich kennenzulernen, Michael“, sagte sie über die Mauer hinweg, dann rannte sie davon.

8
    Als Papa vom Baden kam, fing er an zu jammern, dass kein Brot und auch keine Eier da seien, und schließlich sagte er: „Jetzt fällt’s mir ein. Wir essen heute ein Fertiggericht, gut?“
    Es war, als ob
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