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Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)

Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)

Titel: Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Autoren: Heiko Rolfs
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Prolog
    Lenzingmond Anno 1227
                                                      
    Das Mädchen kniete schon seit Stunden auf dem kalten
Steinfußboden, die Hände zum Gebet gefaltet und klagte der hölzernen Statue der
Heiligen Mutter Maria ihr Leid. Das dünne Leinenhemd schlotterte um ihre
zierliche Gestalt. Es war Nacht, der fahle Mondschein fiel durch die bunten
Glasfenster und bildete zusammen mit den fast herunter gebrannten Altarkerzen
das einzige Licht in der kalten, feuchten Klosterkirche.
    Der Winter wollte nicht weichen und der dritte Mond des
Jahres zeigte sich stürmisch und bitterkalt. 
    Langsam kroch die Kälte die schlanken Beine hoch und
breitete sich in dem schmalen Körper des Mädchens aus. Zunächst schmerzten ihre
Knie und Beine, aber seit geraumer Zeit spürte sie nur noch ein gelegentliches
Kribbeln und Stechen.
    Das gutmütige Gesicht der geschnitzten Mutter Gottes blickte
gnädig auf sie herab und gab ihr Trost in der Dunkelheit und Kälte, die sie
umgab.
    Seit der Matutin, dem Nachtgebet, kniete sie so vor dem
Altar und ihre Buße sollte noch bis zur Laudes im Morgengrauen dauern.
    Es war nicht das erste Mal, dass  man sie büßen ließ. Es war
fast unmöglich, alle Regeln einzuhalten, selbst wenn sie sich anstrengte. Die
Strafen reichten von Bußgebeten bis zu körperlicher Züchtigung.
    Heute lag der Fall jedoch anders. Diesmal hatte sie bewusst
und mit voller Absicht eine Regel überschritten. Aber was noch viel schwerer
wog: Sie zeigte keine Reue, als sie ihre Tat der Äbtissin des Klosters beichten
musste. Judinta von Weckenstein war eine asketische, energische und kluge Frau,
die dem Kloster als Äbtissin mit viel kaufmännischem Sachverstand zu einigem
bescheidenen Wohlstand verholfen hatte. Aber sie herrschte mit strenger Hand
und duldete keine Regelverstöße. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als
die Novizin hart zu bestrafen.
    Ein Blick zur Stundenkerze auf dem Altar zeigte dem Mädchen,
dass sie jetzt seit fast drei Stunden auf dem kalten Boden kniete und noch
weitere drei durchhalten musste. Sie spürte ihre Beine nicht mehr und wurde
plötzlich schrecklich müde. Irgendwann sank sie einfach in sich zusammen und
kippte zur Seite. Dabei merkte sie nicht einmal, wie ihr magerer Körper auf die
harten Fliesen fiel.
    Kurz vor dem Morgengebet betrat die Priorin Ita von
Weckenstein die Kirche und fand das zusammengekauerte Mädchen schlafend vor dem
Altar liegend, die Beine dicht an den Körper gezogen. Anders als ihre strenge
Schwester Judinta war Ita die Güte in Person.
    „Line, du musst aufstehen“, sprach sie das zusammengekauerte
Mädchen an. Vorsichtig rüttelte sie die zierliche Gestalt an der Schulter, bis
die Novizin erschreckt zusammenfuhr und die Augen aufschlug.
    „Gleich kommen die Anderen“, sagte Ita gutmütig, „du musst
jetzt aufstehen und zusammen mit den Schwestern beten. Dann hast du es
geschafft und kannst schlafen.“ 
    Ein Zittern durchlief ihren unterkühlten Körper, als Line
sich aufrichtete. Sie war nicht fähig, aufzustehen, die Beine wollten ihr
einfach nicht gehorchen. Die Priorin stützte sie,  schob ihr ein Kissen unter
die Knie und schlang ihre Kukulle um das unterkühlte Mädchen.
    Als die Nonnen zum Morgengebet erschienen, kniete Line
wieder auf dem Steinboden, den Blick zur Jungfrau Maria erhoben, während die
Priorin ins Gebet vertieft auf einer der hinteren Holzbänke kauerte.
    An diesem Vormittag war Line von ihren Pflichten im Krankensaal
befreit und legte sich todmüde schlafen.
    Erst als die Glocken zur Sext am Mittag riefen, erwachte sie
aus ihrem tiefen Schlaf und verspürte Hunger. Sie stand auf und schlüpfte in
ihre Tunika, warf die Kukulle über und verließ das Dormitorium, den Schlafsaal
der Nonnen.
    Auf dem Gang schloss sie sich den Schwestern an, die sich in
ihren schwarzweißen Habitis der Zisterzienserinnen gemessenen Schrittes und mit
gesenkten Köpfen der Klosterkirche näherten.
    Die Gebetsstunde ertrug Line mit äußerlicher Gelassenheit,
konnte aber das Ende kaum erwarten. Ihr Magen knurrte vernehmlich, was eine
andere Novizin in ihrer Nähe zum Kichern brachte, die sich dadurch
missbilligende Blicke einer der älteren Nonnen einhandelte.
    Die Mahlzeiten waren zwar nicht üppig, aber niemand musste
hungern. Am Morgen gab es Brot, Käse und manchmal auch ein Stück Speck. Mittags
wurde Hirse-, Leinsamen- oder Gemüsesuppe gereicht. Fisch gab es nur
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