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Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)

Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)

Titel: Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Autoren: Heiko Rolfs
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wie tanzende Feen. Es war eine aufregende,
neue Welt für sie.
    Nach einiger Zeit griff der Bauer hinter sich und brachte
einen Wasserschlauch aus Ziegenhaut zum Vorschein. Er entkorkte ihn und nahm
einen langen, genüsslichen Zug. Dann reichte er den Schlauch wortlos dem
Mädchen, das ihn dankbar annahm, artig dankte und sich bemühte, nicht allzu
gierig zu trinken.
    Der Bauer wunderte sich über ihre höfliche Art und beinahe
vornehme Ausdrucksweise, die so ganz unbäurisch war.
    Nun war der Bann gebrochen und der Alte wurde plötzlich
gesprächig. Wie sich herausstellte, war er ein guter Erzähler und er freute
sich, in Line eine eifrige Zuhörerin gefunden zu haben. Wie ein Schwamm saugte
das junge Mädchen alles auf, was der Bauer sagte. In diesen Stunden erfuhr sie
mehr über die Sorgen und Nöte der einfachen Menschen, als in ihrem ganzen
bisherigen Leben. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie abgeschieden sie im
Kloster gelebt hatte, wie weltfremd sie trotz ihrer Bildung war, trotz der
vielen Bücher, die sie in der Klosterbibliothek gelesen hatte.
    Sie hatte sich für gebildet gehalten, beherrschte Latein in
Wort und Schrift, kannte nicht nur die Bibel, sondern auch die Werke von
Philosophen aus fernen Ländern, die lange vor ihr lebten und deren Schriften
von Mönchen ins lateinische übersetzt worden waren. Sie hatte die
Vier-Säfte-Lehre des antiken Arztes Galen sowie die Abhandlungen über die
Heilkräuter der berühmten Äbtissin Hildegard von Bingen studiert. Schwester
Irmhilde war ihr eine unermüdliche Lehrerin gewesen und diskutierte oft
stundenlang mit ihr über diese Werke.
    Sie wusste, dass es eine von Gott gegebene Ordnung gab,
welche die Menschen in drei grundlegende Stände einteilte: die Betenden, die
Kämpfenden und die Arbeitenden; Geistliche, Adlige und schließlich Bauern, Bedienstete,
Handwerker sowie Unfreie. Jeder dieser Stände hatte seine Aufgaben. So war es
die Bestimmung der Geistlichen, für das Seelenheil der Menschen zu sorgen und
Gottes frohe Botschaft zu verkünden, während die Adligen das Land und die
Menschen schützten und über Recht und Ordnung wachten. 
    Das alles hatte sie gelernt, aber von der wirklichen Welt
vor den Klostermauern wusste sie so gut wie nichts.
    Wenn sie dem Mann auf dem Kutschbock glauben konnte, wurden
die Bauern gnadenlos ausgebeutet. Die Hälfte der mühevoll eingebrachten Ernte
mussten sie an den Landesherrn abgeben, den Zehnten Teil an die Kirche. Was
übrig blieb, reichte kaum zum Leben für ihre Familien. Wenn es eine schlechte
Ernte gab, mussten sie hungern. Darunter litten besonders die Kinder und die
Sterblichkeitsrate war entsprechend hoch.
    Ihr Reisebegleiter hatte drei seiner sieben Kinder verloren,
bevor sie den dritten Sommer sahen. Trotzdem war der gutmütige Mann fröhlich
und guter Dinge. Er hoffte, für den Bullen einen guten Preis zu erzielen und
wollte davon vor allem Saatgut kaufen, das für ihn und seine Frau sowie die
Familien seiner beiden erwachsenen Kinder reichen musste.
    Line war dem Bauern sehr dankbar, dass er keine Fragen
stellte, denn sie wollte ihn nicht anlügen. Sie genoss diese Fahrt durch den
milden Sommertag, begleitet vom Gezwitscher der Vögel. Aber diese neue Freiheit
machte ihr auch ein wenig Angst, denn ihr geregeltes Leben war völlig aus den
Fugen geraten und sie wusste nicht, wohin das Schicksal sie verschlagen würde.
Falls sie die alte Grete finden sollte, würde diese sich wirklich um sie
kümmern?
    Andernfalls blieb ihr nichts übrig, als sich eine Arbeit zu
suchen. Sie konnte alles, was man von einer Magd erwarten konnte. Das glaubte
sie jedenfalls.
    Schon am frühen Nachmittag erreichten sie die Stadt und
passierten das Südtor von Memmingen, wo die Wachleute sie gleichgültig
durchwinkten, nachdem der Bauer ein paar Pfennige für den Einlass gezahlt
hatte. Überschwänglich bedankte sich Line bei dem gutmütigen Bauern und sprang
behände vom Wagen.
    „Viel Glück, Mädchen“, rief dieser ihr nach, dann fuhr er
weiter.
    Plötzlich allein beschlich Line ein beklemmendes Gefühl. Sie
stand mitten auf dem Marktplatz, wo es von Menschen nur so wimmelte. Trotzdem
fühlte sie sich so einsam wie noch nie in ihrem Leben.
    Die Rücksichtslosigkeit der Leute, die sich an ihr
vorbeidrängelten und sie dabei anrempelten erschreckte sie ebenso sehr wie der
unglaubliche Lärm um sie herum. Besonders die in Gruppen zusammenstehenden
jungen Männer, die sich lautstark unterhielten, beunruhigten sie.
    Das
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