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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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geschmeckt?, sage ich: Nein. Das ist nicht einfach. Aber der Künstler darf
nie
den einfachen Weg wählen. Der normale Mensch sucht das Einfache, das Widerstandslose. Nicht der Künstler. Der Künstler sagt: Nein. Also habe ich Nein gesagt. Zu allem. Aber es ist frustrierend, die Sinnlosigkeit radikalen Handelns zu erkennen!«
    »Deinen Schwachsinn anhören zu müssen, ist frustrierend«, konterte das Mädchen von vorhin und ermutigte die anderen, ihr Gegrunze und Gehuste erheblich zu steigern. Die eine oder andere Faust flog in die Luft, landete ihren Haken aber höchstens in einem unsichtbaren Nebel aus Staub und Spucke.
    Meine Wenigkeit war zufrieden.
    Eins musste man ihm lassen – er wusste, wie man eine Menge zum Kochen bringt. Er drückte eine Taste auf seinem Notebook und startete einen fürchterlich übersteuerten Beat.
    »Halt’s Maul und lass den Nächsten ran!«, schrie einer.
    Ihr müsst wissen, das Ganze war eine von diesen saublöden Veranstaltungen, wo jeder Saufkopf, der es schafft, sich einen Witz zu merken, auf die Bühne darf, um diesen ins Mikro zu lassen. Noch dazu vor einer Jury von professionellen, sogenannten
Comedians
(in Wahrheit ein paar zweit- oder drittklassige Kabarettisten auf Gymnasiastenniveau), die einem dann erklären, warum man zwar lustig ist, aber nicht das Zeug zum Profi hat. Meine Wenigkeit fiel mit seiner
Kunst
da ziemlich aus dem Rahmen. Er hatte nie etwas veröffentlicht und nur ein paar Auftritte in der Provinz absolviert, blieb aber, wen wundert’s, stets unverstanden und erfolglos.
    Jessasmarandjosef, wenn ich das geahnt hätte! Der Gstettner hat übrigens auch immer »Jessasmarandjosef« gesagt, das sagt jeder, der aus Bölling kommt. Ist so was wie ein Erkennungscode oder ein alter Brauch. Hat nichts mit dem Herrn Jesus zu tun.
    Jedenfalls hob er dann vor diesen selbsternannten Rittern des Humors an zu einer irrsinnigen, rekordverdächtigen Hochgeschwindigkeitslitanei:
    Die tun es alle.
Alle, verstehst du?
Saufen, kiffen, koksen, drücken,
spritzen, sniffen, cracken, ficken.
Wachbleiben,
verstehst du?
Wachbleiben,
Jessasmarandjosef!
Da vorne isses.
Das Tor, deep and wide.
Du kannst es anschaun
wie einen verdammten, blöden scheiß Fernseher.
Es anschaun oder hingehn.
Einfach drauflos und durch,
verstehst du?
Da sind diese zwei Lager:
Eins hier, eins da.
Bla bla, bla bla,
das isses, Baby,
von allem zwei.
Und du hast die Wahl.
Nimm es, Baby, nimm es!
Such dir eins aus.
Schlaf weiter oder wach auf.
In die Glotze oder aus der Glotze,
verstehst du?
Nein oder ja?
    Angst oder scheiß drauf.
Gut und Böse.
Oder es einfach tun.
Die tun es alle,
verstehst du?
Wachbleiben.
Wach, wach.
Ich werd dir was verraten:
Du kannst wählen.
Oder aber –
und das checken nur die wenigsten –
du scheißt aufs Wählen
und greifst einfach zu.
Das isses, Foxy,
du tust es einfach.
Lass die Vollidioten vor der Glotze sitzen.
Du bist drin in der Glotze, Baby.
Dich starren sie an.
Everybody loves my baby.
Lass die Vollidioten träumen.
Du bist der Traum, Baby,
verstehst du?
Die tun es alle.
Alle tun sie’s.
Scheiß drauf, fuck,
is genug von allem da.
Dreh das Licht einfach aus.
Is weniger gefährlich so.
Hörst du mich?
Hört ihr mich?
Here we are now,
Entertain us!
    Er war so schnell, dass keiner es geschafft hätte, ihn zu unterbrechen. Und irgendwie hat ihn in diesem Moment jeder, davon bin ich überzeugt, bewundert. Er hatte einfach
keine Angst
. Und was, frage ich euch, gibt es Bewundernswerteres?
    Und dann – die Leute pfiffen und schrien sinnlose Chöre, wie Leute das eben so tun, wenn sie im Rudel auftreten und einen gemeinsamen Feind haben –, dann drückte er wieder eine Taste seines Notebooks und der ganze Laden flog in die Luft. Jessas! Es war das gigantischste
Bummm!
der österreichischen Nachkriegsgeschichte, das könnt ihr mir glauben.
    Wenn ihr aus der Gegend seid, habt ihr es ja vielleicht gehört. Siebenundachtzig Tote haben sie gezählt und ich bin mitten unter ihnen gelegen. Die Gesichter der Zuschauer, die gerade noch geschimpft und gelacht hatten, lösten sich buchstäblich von ihren Köpfen und flogen, wer weiß, vielleicht auf andere gesichtslose Köpfe. Es war das reinste Chaos. Die reinste Panik. Der Wiener hat ja keine praktische Ahnung vom Terrorismus. Er
hatte
noch keine. Siebenundachtzig Tote! Und Meine Wenigkeit war nicht einmal Moslem! Keiner, der aus Bölling kommt, ist Moslem. Und damals hat ja tatsächlich noch jeder geglaubt, das sei die Grundvoraussetzung
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