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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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für einen Selbstmordattentäter. Damals. Jetzt ist alles anders. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich glaube, er lacht sich gerade in sein verwestes Fäustchen, der Idiot.
    Kein Mensch weiß, was er tatsächlich wollte. War es seine aufgestaute Frustration? Eine Performance? Ist auch egal jetzt. Ich habe diese Geschichte nur erzählt, weil ich ihn gekannt habe. Und weil er der Erste war. Und weil er all die Vollidioten, die noch kommen sollten, aufgeweckt hat. Und weil ich nun einmal der Einzige bin, der seine finale Vorstellung überlebt hat. Fragt mich nicht, warum.
    Und zum versprochenen Anfang seiner Geschichte sage ich nur so viel:
    Franz Gstettner wurde in einer Silvesternacht geboren, während der Nachbar seiner Eltern, Friedrich Fink, ein Saufkopf höchsten Grades, sein gesamtes Erspartes für den nächsten Urlaub, auf den seine Familie sich ein ganzes halbes Jahr gefreut hatte, dafür verwendete, Feuerwerkskörper in den langweiligen, friedlichen Böllinger Himmel zu schießen. Ob ihr es glaubt oder nicht.
    Mein Name ist Cornelius Fink, ich bin der Sohn dieses Vollidioten. Und jetzt haltet mir die Daumen, dass mich in den nächsten paar Stunden keine Tiere überfallen und ich hier heil rauskomme, ohne geschnappt zu werden. Ich werde nach Hause gehen und richtig lange duschen, weil ich nämlich … na gut, ich erspare euch die Details.

2. SARAH
    Es geht nicht um den Samen.
    Es ist weiß. Oder weißlich, gräulich. Riecht angeblich nach Kastanien. Es besteht aus Fäden und Flüssigkeiten und wurde mit Hilfe dieser Flüssigkeiten vor dreizehn Jahren durch die Harnröhre eines gewissen Vincent Auer in den Unterleib von Lena Ungar transportiert, die das Ganze, so hoffe ich doch, als erbaulich und befriedigend erlebt und deren biologisches Kreativzentrum den Befehl
Jetzt!
spontan weitergeleitet hat. Mittlerweile ist Sarah zwölf. Ihr Vater und ihre Mutter kannten sich so gut wie gar nicht und trennten sich, noch bevor Lena von den Veränderungen in ihrem Körper erfahren hat. Sie hat ihn dann über die neuen Umstände informiert, er wollte aber nichts davon wissen. Das war’s. Männer verteilen ihren Samen wie der Regen seine Tropfen. Das hat mehr mit Ausscheidung als mit Erfüllung oder Überlebenssicherung im Sinne der Fortpflanzung zu tun. Im besseren Fall hat es mit einem anderen Menschen zu tun, aber sicher nicht zwingend mit Liebe, Fürsorge, Verantwortlichkeit oder Vaterschaft. So läuft das. Die Natur hat in ihrer Schamlosigkeit kein Problem damit, aus den sinnlosesten Verbindungen menschliche Wesen entstehen zu lassen. Gedankenlos schleudert sie ein kleines Mädchen in diese fragwürdige Welt, ohne Sicherheitsnetz, ohne vorher das Gelände zu überprüfen. Die Natur ist eiskalt. Ich unterstelle ihr, dass sie es liebt, uns beim Kämpfen und Scheitern zu beobachten. Aber egal, die Natur wird ohnehin überbewertet. Und ich schweife schon wieder ab.
    Nach dem Anschlag war in Bölling natürlich der Teufel los. Der natürliche und auch sympathische Drang des Menschen, sich von seiner besten Seite zu zeigen, wird scheinbar sofort unterdrückt und gegen einen regelrechten Entblößungszwang eingetauscht, wenn das Fernsehen ins Spiel kommt. Die Leute würden alles tun – was sage ich – sie
tun
alles, nutzen jede auch noch so lächerliche Gelegenheit, um der Welt zu zeigen, wie banal, bedeutungslos und idiotisch sie sind. Und auch keiner der Böllinger war sich zu blöd, sich vor einer Kamera in stumpfsinniger Betroffenheit und moralischer Überlegenheit zu präsentieren.
    Alle haben sie gelogen. Jeder hat den Gstettner Franz plötzlich besonders gut gekannt und immer schon gewusst, dass mit dem was nicht stimmt. Er wurde als Autist bezeichnet, Eigenbrötler genannt und Psychopath geschimpft. Ich bin bei dieser Talkshow im Fernsehen gewesen und sogar bei
Zeit im Bild
. Zum ersten Mal waren die Böllinger richtig stolz auf mich. Völlig grundlos natürlich, aber so läuft das eben. Nicht,
was
im Fernsehen gezeigt wird, ist von Bedeutung, sondern
weil
es im Fernsehen ist, ist es von Bedeutung. Das hat sich seit den Sechzigern des letzten Jahrhunderts nicht verändert, aber wie auch immer – wenn du als Böllinger im Fernsehen warst, bist du plötzlich wer, einer von den Guten, liebenswert, wichtig oder was weiß ich.
    Die Lena Ungar aber war, in gewisser Weise, die Blödeste von allen. In die war der Gstettner Franz unsterblich verliebt, wie er siebzehn war, aber sie hat sich nie für ihn interessiert.
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