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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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kaufen.«
    »Ja, aber die Leute sagen: Ein Krapfen ohne Marmelade ist kein Krapfen. Und deshalb gehen sie lieber zum
Billa
oder zu einem anderen Bäcker, der das macht, was ein Bäcker eben immer schon gemacht hat, verstehst du?«
    »Du meinst, Christina Stürmer ist ein ganz normaler Bäcker?«
    »Genau, Kleine. Christina Stürmer ist ein ganz normaler Bäcker. Die hat genau die richtige Menge Marmelade in ihren Krapfen.«
    »Die Mama hat immer gesagt, du würdest es nie schaffen.«
    »Hat sie das? Ich glaube, das sagen die meisten Menschen, die mich kennen. Und vielleicht haben sie ja auch Recht.«
    »Dieser Bäcker … was macht er, wenn niemand bei ihm einkauft, ich meine
nie

    »Er weiß nicht, was er machen soll. Er glaubt einfach, dass sein eigenes Rezept viel besser ist. Und er ist nun einmal Bäcker, auch wenn sein Opa ihm einen Job als Mechaniker anbietet, verstehst du?«
    »Ja. Was war der Mann, der die Mama getötet hat?«
    »Der war Kellner. Aber eigentlich war er ein Idiot.«
    »Cornelius, glaubst du, dass die Mama im Himmel ist?«
    »Ich weiß nicht. Ich meine, ich weiß nicht, ob es einen Himmel gibt, aber wenn es einen gibt, ist die Mama dort, da bin ich mir ganz sicher.«
    »Die Oma sagt, es gibt einen Himmel.«
    »Ja, aber die Oma sagt auch, ich soll Bäcker werden.«
    »Cornelius, soll ich Papa zu dir sagen?«
    »Nein, ich bin nicht dein Papa.«
    »Ich weiß, aber irgendwie schon. Also, vielleicht ist das ja ein Blödsinn, aber wenn du bei mir bist, obwohl du kein echter Papa bist, vielleicht bist du dann auch ein Bäcker, obwohl du Musiker bist?«
    »Geh jetzt schlafen, Sarah.«
    Ein Kaff wie Bölling ist ein Monster. Ein riesiges Schwein. Eine gigantische Sau, die alles frisst, was ihr in den Weg kommt. Wenn du nicht rechtzeitig abhaust, hast du gegen ihren Rüssel keine Chance, und selbst, wenn du geflohen bist, besteht immer die Gefahr, das sie dich ausfindig macht, aufschnüffelt und verschlingt. Es mag verrückt klingen, dass ich freiwillig zurückgekommen bin, ich glaube es ja selber kaum, aber ihr kennt meine Gründe. Wenn jedes Dorf oder jede Stadt oder jedes Land so eine Riesensau ist, dann ist die ganze Welt nichts als ein gigantischer Saustall. Die Frage ist, ob es auch einen Bauern gibt, und wenn ja, wer er ist und warum er nicht endlich ausmistet.
    Naja, jedenfalls gibt es in Bölling ein Lokal, das
Fiesta
. Dort sitze ich hin und wieder und trinke ein Bier oder zwei. Das Fiesta ist so was wie der Magen von Bölling. Da findest du all die Typen, denen du nie wieder begegnen wolltest, wie den alten Hermann mit seinem hörbaren Tinnitus. Hab ich euch den schon vorgestellt? Passt auf, der Mann ist ausnahmsweise wirklich sehenswert. Wenn ihr ins Fiesta kommt, sitzt ganz links an der Bar, kurz bevor man um die Ecke aufs Klo gehen kann, der Hermann. Ganz sicher. Der ist immer da gesessen und wird immer da sitzen. Ihr geht also rein, um ein Bier zu trinken. Irgendwann müsst ihr aufs Klo und dann müsst ihr an ihm vorbei. Er wird sagen:
    »Du schaust mir aus wie einer, der’s nicht eilig hat, du wirst also sicher nichts dagegen haben, wenn ich dir was erzähle.«
    Und wenn ihr nicht gerade Durchfall habt oder einfach nur unfreundlich seid, werdet ihr euch kurz zu ihm gesellen. Und jetzt passt auf.
    »In den Fünfzigern, da war ich jung. Ich habe ein Haus gebaut, mit diesen Händen.«
    Und er wird euch seine Hände zeigen.
    »Ich habe alles selbst gemacht, ich bin ein Naturtalent gewesen. Ich habe 200.000 Schilling Schulden gemacht, das war unglaublich viel damals. Eine Frau habe ich gehabt, eine wirklich wunderschöne Frau mit schwarzen Haaren und solchen Dingern, verstehst du, ihre Dinger waren echt beunruhigend groß, aber man lernt irgendwie mit allen Dingern umzugehen, oder?«
    Ihr werdet ihm beipflichten und er wird ungefragt fortfahren.
    »Zwei Kinder haben wir gehabt, beides Mädchen. Anna und Veronika, die haben den ganzen Tag gelacht. Ich habe ihr Lachen immer noch im Ohr. Ich brauch nur an sie zu denken und schon hör ich sie lachen. Ganz deutlich, das ist beunruhigend. Komm her und horch, du kannst das durchhören, so laut ist das. Ein Onkel von mir, der hat einen Tinnitus gehabt – ob du’s glaubst oder nicht –, der hat einen Tinnitus gehabt, den hat jeder hören können, der ihm nahe gekommen ist. Beunruhigend war das, zum Fürchten. Und das liegt bei uns in der Familie, weißt du? Das Lachen meiner Mädchen ist eine besondere, seltene Form von Tinnitus.«
    Ihr werdet
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