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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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Dem Fernsehen hat sie jedoch von ihrer Beziehung und von atypischem sexuellen Verhalten und so erzählt. Ich hätte es wissen müssen. Aber wenn du der einzige Überlebende von so was bist, hast du keine Chance. Sie stülpen sich über dich und saugen dich aus.
    Die Lena ist, wie ich, fünfunddreißig, sieht gut aus, hat Psychologie studiert und redet gern und viel – die perfekte Kombination fürs Fernsehen. Ich sag’s gleich: Sie wohnt jetzt bei mir, hat mich quasi überrumpelt damals. Vor laufender Kamera hat sie mich gefragt, ob sie zu mir nach Wien kommen könnte, weil sie weg müsse aus Bölling, die Enge und Beschränktheit nicht mehr aushalte. Was soll ich sagen. Die Medientypen wollten aus uns gleich so was wie Romeo und Julia vom Lande machen.
    Sarah ist, wenn ihr mich fragt, eine Nervensäge höchsten Grades. Wenn ihr Lena fragt, ist sie natürlich ein wunderbares, wenn auch schwieriges, menschliches Wesen. Zwischen Lena und mir läuft aber nichts. Wenn ihr’s genau wissen wollt – wir haben ein Mal miteinander gebumst, das war’s. Keine Liebe oder so. Man sagt ja: Der Appetit kommt beim Essen. Aber bei der Liebe funktioniert das nicht, ich hab’s ausprobiert. Die Lena und ich haben das dann irgendwie abgehakt, keine große Geschichte daraus gemacht. Vor allem sie, denn sie wollte ja bei mir bleiben. Natürlich nutzt sie mich aus, was die Kleine betrifft. Ohne mich könnte sie ihr Leben, wie sie es jetzt führt, vergessen, aber was soll’s, die Dinge entwickeln sich immer von selbst.
    Sie ist Kostümbildnerin und viel unterwegs mit irgendwelchen idiotischen Fernsehproduktionen, also fast nie zu Hause. Ich bin demnach so was wie ein Alleinerzieher, obwohl ich keine Ahnung von Erziehung oder Kindern im Allgemeinen habe, aber erstens hab ich gerade keinen Job und zweitens bezahlt Lena die ganze Miete, quasi als Lohn fürs Babysitten, wenn ihr so wollt. Was das alles betrifft, hat sich mein Überleben bei Meine Wenigkeits idiotischem Abtritt wirklich gelohnt. Die Psychologin vom Arbeitsmarktservice hat ein Explosionstrauma bei mir diagnostiziert, und seitdem lassen die mich erst recht in Ruhe. Ich bekam eine Therapie verordnet und da gehe ich zweimal im Monat hin. Soweit, so gut. Sarah geht zur Schule, kommt heim, ich geb ihr was zu essen, sie macht Hausaufgaben, sieht fern – ganz normaler Alltag. Wir kommen ganz gut zurecht. Ich selbst bin Musiker, Songschreiber, und das ist mein eigentliches Problem.
    Dies ist die Zeit der Idioten,
der jammernden Kojoten,
der ideenlosen
Zombieposen –
Kläffer ohne Pfoten!
    So was in der Art. Fragt mich aber nicht nach meinem Erfolg. Irgendwie hat mir Meine Wenigkeit einen Spiegel vorgehalten. Mein eigentliches Problem ist also, dass ich eine Höllenangst davor habe, möglicherweise dem Franz ähnlicher zu sein, als ich das will. Versteht ihr? Ich denke darüber nach, ob ein Böllinger einfach immer ein Böllinger bleibt, egal wohin er flüchtet. Solche Gedanken lassen mich seit damals nicht mehr ruhig schlafen, denn irgendwie, ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, kann ich nachvollziehen, warum er es getan hat. Nicht, dass ihr jetzt gleich die Polizei ruft oder so, ich denke nur laut darüber nach. Vielleicht bin ich ja auch nur so ein Idiot. Jessas, nein!
    Was mir meine Therapeutin nicht glaubt, ist die zugegebenermaßen etwas schockierende Tatsache, dass mich der Tod dieser siebenundachtzig Menschen relativ kalt lässt. Natürlich war das schrecklich mitanzusehen, all das Blut und die Panik und der Gestank, aber es hat nicht lange gedauert … Was ich wirklich meine, ist, dieser Moment an sich war so gewaltig, dass man ihn nur akzeptieren und irgendwie in sein Leben einordnen kann. Der Tod eben. So ein Moment lässt keine Interpretation zu. Und genau hier wurde die ganze Geschichte unerträglich. All die Idioten, die dann gekommen sind, nach Erklärungen gesucht haben, oder nicht einmal gesucht, sondern einfach ihren blöden Senf auf dieses mediale Fertiggericht draufgeschmiert, den Anschlag als Statement gesehen, ihn in aller Öffentlichkeit seziert und erklärt haben; und die haben dann die wirklichen Vollidioten animiert, ihre eigenen Statements abzugeben. Acht Anschläge waren es bisher allein in Wien.
Der zweite Anschlag
    Der zweite war der schlimmste. Der Typ war achtzehn. Habt ihr gehört? Achtzehn! Sein Name war Nikolaus Schlager. Dieser Idiot hat mit einer angeblich selbst gebauten Rucksackbombe, deren Bauplan er einfach aus dem Internet
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