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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien
Autoren: Ilija Trojanow
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Vorab

    Ehe wir von Mantra zu Monsun gelangen, vorab einige Bemerkungen über das Unverfrorene des Vorhabens, über die Unermeßlichkeit des Themas, aber auch über die Zuversicht des Autors, die Herausforderung zu meistern.

    Nach Indien kam ich über Kenia. Nach Kenia kam ich über Zirndorf. Nach Zirndorf kam ich über Triest. Und nach Triest kam ich über den Fluchtweg. Bei soviel Umwegerei erschien mir Indien gar nicht so fremd. Als junger Verleger in München hatte ich eine ethnologische Reihe namens ›Ganesh‹ betreut; in Bombay erfuhr ich, daß der elefantenköpfige Gott Ganesh auf einer Maus reitet, die Mushka heißt. Die bulgarische Maus wird Mishka genannt. So waren Herkunft und Ankunft nur einen Vokal voneinander entfernt.
    Bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr wußte ich nichts über Indien. Dann führte mich ein Mann namens Richard Francis Burton dorthin, und den größten Teil der nächsten zehn Jahre verbrachte ich damit, mich mit Indien vertraut zu machen. Burton war ein Abenteurer, ein Grenzgänger und Freidenker. Im neunzehnten Jahrhundert widmete er sich unbekannten Sprachen und vertiefte sich in fremde Religionen. Er war mir ein nützliches Vorbild. Auf seinen Spuren konnte ich vieles lernen, einiges erleben und hinter manches Geheimnis blicken.
    Mein Bild von Indien war anfänglich geprägt von den vielen Abziehbildern und Verfälschungen, die sich in der europäischen Literatur, in Film und Fernsehen eingenistet haben. Die Reaktion auf die verstörende Fremdheit Indiens war seit jeher die verfremdende Darstellung. Indien war schon immer eine Leinwand unserer Projektionen, Objekt unserer Fehl- und Vorurteile. In der Antike vermutete man in Indien den Garten Eden (und heute ein Software-Dorado), und der Ganges galt als Grenzfluß des Paradieses. Die ersten Abenteurer, die aus dem tatsächlichen Indien heimkehrten, berichteten von schrecklichen Dingen: die Inder verbrennen ihre Leichen, verehren blutrünstige Götter, essen keine Tiere, weil jede Ziege und jeder Hase die wiedergeborene Großmutter sein könnte. Bis in unsere Tage hinein wird der Zauber des Fremdartigen umgestülpt in einen Schrecken des Absonderlichen. Sogar was das Essen betrifft: eine gefährliche Versuchung, die im Durchfall endet. Und überhaupt: Der gemeine Inder hätte genug zu essen, aber weil ihm die Kühe heilig sind, fällt für ihn täglich nur eine Handvoll Reis ab.
    Vor vielen Jahren fragte ein Reisender, verwirrt von all den Idolen mit unterschiedlichen Namen und grotesken Formen, einen einheimischen Priester, wie viele Götter es denn nun in diesem Indien gebe. So viele wie Menschen, lautete die gewitzte Antwort. Was der Reisende als bare Münze nahm und kurzerhand aus den damals dreihundertdreißig Millionen Einwohnern von Britisch-Indien dreihundertdreißig Millionen hinduistische Götter zauberte. Diese Zahl geistert seitdem durch die Literatur. Kaum ein Thema ist dem Europäer so fern geblieben wie der Glaube der meisten Inder, als Hinduismus auf einen täuschend klaren Nenner gebracht – eigentlich bedeutet Hindu nichts anderes als »jener, der hinter dem einstigen Grenzfluß Indus (Sind) lebt«. Diese Vielgötterei, diesen sakralen Mischmasch kann doch kein Mensch verstehen, lautet ein beliebtes Mantra (siehe Kap. 1) westlicher Journalisten, wenn sie zum wederholten Male das mühsam Erlernte über den Haufen werfen müssen, weil der gelüftete Schleier den Blick auf einen weiteren Schleier öffnet. Wir im Westen haben nicht gelernt, mit gespiegelten Täuschungen umzugehen, während der irreführende Charakter des Offensichtlichen im indischen Bewußtsein als Maya (siehe Kap. 4) seit jeher verankert ist. Das Paradoxon ist bei uns eine lästige Unstimmigkeit, bei vielen indischen Denkern und Dichtern hingegen ein scharfes Instrument der Erkenntnis.
    Manche Sinnsucher vertrauen sich mit Haut und Herz einem Guru an (siehe Kap. 3) und entwickeln sich zu Anhängern einer Schmalspurfassung östlicher Spiritualität. Für mich hingegen bietet Indien einen einzigartigen Masala-Mix (siehe Kap. 5), über dessen Ingredienzien niemand so ganz genau Bescheid weiß, aber dessen Wirkung beseelen und bezaubern, aber auch erzürnen und verwirren kann. Und doch ist manches ganz einfach, und manches muß einfach behauptet werden, um ein Bild zu zeichnen, wenn auch in dem Bewußtsein, daß es sich um eine individuelle, subjektive Vision handelt.

    Obwohl ich, abgesehen vom Nordosten, jede Region Indiens ausgiebig bereist habe,
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