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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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gedownloaded haben soll, die gesamte U-Bahnstation Kettenbrückengasse und einhundertzwölf Passanten in die Luft gesprengt. Und das Schlimmste: Er hatte nicht einmal ein Motiv. Keine Absichtserklärung, nichts. Überall haben sie den alten Johnny-Cash-Song zitiert und gespielt:
Shot a man in Reno just to watch him die
. Natürlich haben sie dann seine selbstverständlich schwierige Kindheit aufgerollt, seine Mutter sei dominant gewesen, der Vater gewalttätig und so – na und, wenn ihr mich fragt, ist das ganz normal. Und eine – ich zitiere – problematische Pubertät hätte er gehabt. Was soll ich da noch sagen. Der halbe Naschmarkt war völlig verwüstet. Im Fernsehen hat es ausgesehen wie 9/11. Ich bin hingefahren, aber sie haben alles abgeriegelt und sofort jeden überprüft.
    Ein Journalist hat mich erkannt und gefragt, ob ich schon wieder überlebt hätte. Ich bin einfach weitergegangen. Er hat aber nicht locker gelassen. Ein auffällig kleiner, geschniegelter Typ mit so einer Art elektronischem Notizzettel, auf dem er mit einem winzigen Stift herumgekritzelt hat. Er würde meine Story gern groß herausbringen, hat er gesagt und gefragt, ob ich ein Statement zu diesem Anschlag abgeben würde. Nein, habe ich gesagt. Ob er mir seine Karte geben dürfe. Nein, habe ich gesagt. Er arbeite für das Magazin
News
und ich könne mich jederzeit, sollte ich es mir anders überlegen, dort melden. Leck mich, habe ich gesagt und ihn, glaube ich, sogar weggestoßen. Er verstehe mich und meine Situation, er sei durch dieselbe Hölle wie ich gegangen, hat er mir noch nachgerufen. Als ob mich das interessiert. In Österreich hat es so was noch nie gegeben, also durch welche Hölle kann der schon gegangen sein? Na gut, er könnte in Beirut oder Bagdad gearbeitet haben, aber was geht mich das an? Wahrscheinlich hat er einfach gelogen. Die schrecken ja vor nichts zurück. Die würden ihre eigenen Kinder entführen lassen, um einen Geiselnehmer vor die Linse zu bekommen. Diese Typen sind die reinsten Kletten.
    Jedenfalls hat sich Wien seit diesem Tag total verändert.
Wien darf nicht Chicago werden
hat eine Idiotenpartei einmal wahlgekämpft – jetzt ist Wien Albanien oder so.
    »Cornelius, die Mama will dir noch was sagen.«
    »Hallo? Hi, Lena. Ja, alles in Ordnung … ja, sie hat brav gelernt. Okay, bis morgen dann.«
    Jetzt ist Sarah im Bett. Wenn ich ehrlich bin, stimmt es natürlich, dass sie ein wunderbares, wenn auch schwieriges Wesen ist. Sie ist eine Naturschönheit wie ihre Mutter, und ihre braunen Augen bringen meine Bemühungen um erzieherische Strenge zum Schmelzen wie die Dezembersonne einen lächerlichen Eiszapfen. Irgendwie hat sie mich als Vaterfigur voll akzeptiert, und das bestätigt mich an einem Punkt, von dessen Existenz ich gar keine Ahnung hatte. Und – keine Angst, ich fasse mich kurz, denn wenn ihr keine Kinder habt, interessiert euch das bestimmt nicht – jeden Abend, wenn sie eingeschlafen ist, bleibe ich noch ein paar Minuten vor ihrem Bett stehen, nur um sie wie blöd anzustarren und an Schönheit, Güte und Frieden zu glauben. Dann denke ich mir, dass selbst Hitler einmal so dagelegen haben muss, und der Gstettner Franz und all die anderen Idioten auch. Und dass das Leben ganz schön gemein ist, weil es aus den Menschen das macht, was sie dann eben werden, und weil Kinder wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen Vollidioten sind. Und dass ich mich für die Kleine wirklich verantwortlich fühle und zum Tier werden würde, wenn igendein Idiot ihr was antun sollte. Was soll ich sagen, ich schätze, ich bin so was wie ein Vater, Herrgott! Wisst ihr, all die Typen, die ihren Samen für heilig halten, haben keine Ahnung. Es geht nicht um den Samen, der wird einfach nur benötigt. Das, was danach passiert, zählt. Und die Menschen, die danach involviert sind, zählen. Das ist wie mit diesen Technikfreaks, die ihre millionenschweren Stereoanlagen vergöttern, aber Chris de Burgh auf dem Plattenteller liegen haben, versteht ihr? Ich hör auch schon auf.
    Ich setze mich aufs Sofa und schalte den Fernseher ein. In Zeiten wie diesen hat man ja schon Angst vor den scheiß Nachrichten.
    »... hat der dreiundzwanzigjährige Innsbrucker Lukas Helmmoser sich selbst und vermutlich mehr als vierzig Besucher des Innsbrucker Szenelokals
Utopia
in einem erschütternden Verzweiflungsakt in den Tod gesprengt. Motiv dürfte die Ablehnung seines Ansuchens um den Gewerbeschein für Gastronomie gewesen sein. In dem
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