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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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Plüschmaus auf die Särge.
    Ehrlinspiel hätte es Marius gegönnt zu erfahren, dass sein und Vanessas Spiel das Verschwinden Annikas aufgeklärt hatte. Vanessa und er hatten so genau geplant. Den Morgen an der Straßenbahn-Haltestelle. Dass Marius absichtlich hinfiel und die Bahn davonfuhr. Dass er Rebecca zum Trost ein paar Bonbons mit weicher, süßer Füllung gab, in die er die pulverisierten Schlaftabletten seiner Mutter eingearbeitet hatte. Dass er seine Schwester im Gestrüpp hinter dem Stromhäuschen versteckte, den Jeep seines Vaters holte, Rebecca an den Rhein fuhr. Dort hatte er am Tag vorher Lebensmittel, weitere Schlaftabletten – für die Zeiten, wenn Vanessa gekommen war – und eine alte Gasflasche in dem Wohnwagen deponiert. Wäre Marius mit seinem eigenen Golf gefahren, hätte es sofort nach Flucht ausgesehen. Ebenso, wenn er Rebeccas Medikamente aus dem Kühlschrank mitgenommen hätte. Also durfte sie nur Rohkost und Fett zu sich nehmen. Alles sollte für das Mädchen wie eine echte Entführung wirken. Denn irgendwann, wenn die Kinder wieder frei gewesen wären, hätte Rebecca ihren Eltern jedes Detail der Gefangenschaft erzählt. Geplant war gewesen, dass Vanessa nach einem ihrer Besuche – nachdem Assmann die Premiere versaut und den Namen des echten Vaters verraten hätte – den Wohnwagen nicht mehr von außen abschloss. Die Kleine hätte, wenn sie nach der täglichen Schlaftablettenration wieder aufgewacht wäre, glauben sollen, die Entführer hätten sie freigelassen. Alles wäre halbwegs gut ausgegangen, und die wenigen Tage hätte Rebecca gesundheitlich nichts passieren können. Wenn … wenn Rebecca nicht geglaubt hätte, alles sei ein Spiel. Wenn sie keine Kekse gegessen hätte. Nicht erkältet gewesen wäre.
    Noch während die letzten Trauergäste Erde in das Grab warfen, flüsterte Ehrlinspiel Hanna zu: »Warte am Ausgang«, und ging zu den beiden Steinstatuen, ein Engel und eine Frau, von denen aus Vanessa das Geschehen beobachtete. Gern hätte er sein Jackett ausgezogen, so warm brannte die Sonne auf den dicken Stoff. »Hallo, Frau Sigismund.« Er hatte recht gehabt. Es war Marius’ schwarze Wollmütze, in die sie geweint hatte. Die, die er am Tag des Verschwindens getragen hatte und die sie weder am Unfallort noch im Wohnwagen gefunden hatten.
    Rasch stopfte das Mädchen die Mütze unter ihre Jacke. »Hey.«
    »Sie können sie behalten.« Der Kommissar wies auf die ausgebeulte Stelle und lächelte.
    »Echt?«
    »Klar. Sieht übrigens gut aus mit den Haaren.«
    Sie blickte wortlos über die Hecke, die den Friedhof von der Straße trennte. Ehrlinspiel folgte ihrem Blick. Assmann öffnete die Heckklappe eines Golfs. Das Fahrzeug war Ehrlinspiel schon bei seiner Ankunft aufgefallen.
    »Das ist Marius’ Auto, oder?«
    Die Heckklappe schlug zu.
    »Mhm.«
    Der Motor sprang an, und Assmann und seine Mutter fuhren los. Nicht einen Satz hatte Assmann mit Vanessa oder Lene gesprochen. Auch nicht mit Uwe Berger, der allein gekommen war. Nur zu Rebecca hatte er gesehen.
    Wie verzweifelt musste Marius gewesen sein! Nichts anderes hatte er gesucht als die Zuwendung seines Vaters. War stets abgelehnt worden und in dem Glauben gestorben, ein Leben lang um seinen wirklichen Vater, der ihm hätte Halt und Liebe schenken können, betrogen worden zu sein. So hatte er sich die Entführung ausgedacht. Damit Günther litt wie bei Annika. Das zumindest hatte Marius sicher gewusst: Die Erinnerung an Annikas Verschwinden und die Gefahr eines Scheiterns auf der Bühne würden Assmann quälen. Und das war sein Ziel gewesen. Was wirklich mit Annika geschehen war, hatte er nicht ahnen können. Vanessa und er hatten viel mehr aufgewühlt und Unglück verursacht als beabsichtigt. Indirekt aber hatten sie auch endlich Gerechtigkeit geschaffen. Jedoch um einen viel zu hohen Preis.
    »Wie läuft’s mit dem Abi?«
    »Ganz gut. Am Dienstag ist noch Bio schriftlich.«
    Ehrlinspiel nickte. »Haben Sie schon einen Termin für Ihre Verhandlung?«
    »Anfang Juni. Vor dem Mündlichen.«
    »Das wird schon. Sie haben uns alles gesagt und uns zu Rebecca geführt. Sie bereuen alles. Und Sie sind noch nicht achtzehn.«
    Vanessa kratzte sich an der Hand. »Sie sind eigentlich ganz okay. Wie geht es Rebecca?«
    »Körperlich wohl ganz gut. Aber ihre Seele wird noch Zeit brauchen.«
    Vanessa blickte zu Boden. Die orangefarbenen Schnürsenkel ihrer Sneakers leuchteten neben den nackten grauen Zehen der Frauenstatue. Dann sah sie
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