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0968 - Die Greise von Eden

0968 - Die Greise von Eden

Titel: 0968 - Die Greise von Eden
Autoren: Adrian Doyle
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1.
    Al Karak, Jordanien
    Der Frieden der Nacht, selbst das unschuldige Blinken der fernen Sterne, erfuhr eine jähe Trübung.
    Inaya Saleh, die sechsjährige Tochter eines angesehenen Mameluken, bemerkte die Veränderung auf ihre Weise. Sie fiel aus Schlaf und Traum, zitterte wie Espenlaub.
    Aus dem Nachbarbett, wo das Bett ihres ein Jahr älteren Bruders stand, drang leises Wimmern.
    »Rami?«
    Das Schluchzen verstummte.
    Doch schon wenige Sekunden später setzte es erneut und noch heftiger ein.
    » Rami! «
    Inayas Zittern ließ etwas nach, obwohl sie sich kein bisschen weniger fürchtete als in dem Moment, da sie Ramis Angstlaute zum ersten Mal vernommen hatte. Sie tastete nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe. Als sie ihn fand, knipste sie das Licht an, das in die umgebende Schwärze hinaus wucherte und sie beiseitezuschieben schien. Die Ausläufer der entstandenen Lichtinsel reichten bis zum Nachbarbett, wo sich Rami wie ein Ungeborenes im Leib seiner Mutter zusammengerollt hatte; aus der hochgezogenen Decke lugten nur Augen, Ohren, Stirn und das kurze lackschwarze Haar hervor.
    Inaya sah, dass die Augen ihres Bruders krampfhaft geschlossen waren.
    »Rami! Was ist? Träumst du schlecht?«
    Endlich öffnete er die Augen. Die Bewegung der Decke verriet, dass er ebenso heftig zitterte, wie Inaya es auch bis vor wenigen Momenten getan hatte.
    »Weiß nicht.«
    »Du musst doch wissen -«
    »Es tut so weh. Ruf Papa. Oder Mama. Lass uns… lass uns zu ihnen gehen. Bitte. «
    Da war mehr als bloßer Schmerz in seinem Blick, regelrechte Panik. So aufgelöst hatte Inaya ihren Bruder noch nicht erlebt. Obwohl ein Jahr älter, wirkte er noch viel kindlicher als seine Schwester. Dennoch verband sie beide ein inniges Zusammengehörigkeitsgefühl. Inaya liebte ihren Bruder über die Maßen, und ihr Bruder liebte sie. Sie bewunderte ihn für die Gelassenheit, mit der er sein Schicksal ertrug. Und er genoss ihre Zuwendung. Manchmal kam sich Inaya so vor, als wäre sie die Mutter dieses Jungen, nicht seine Schwester.
    Sie schlüpfte aus dem Bett und eilte zu ihm. »Wo? Wo tut es weh?«
    Sie wollte die Decke zurückziehen, aber er hielt sie verzweifelt fest. »Nicht! Lass!«
    »Ist es…?«, setzte sie an.
    Der Ausdruck, der sich über sein nun voll sichtbares Gesicht legte, beantwortete die Frage, ohne dass er etwas sagen musste.
    Inaya fuhr ein Stich durchs Herz. Sie beugte sich vor und strich Rami tröstend über das Haar. »Ich hole Vater. Bleib ganz ruhig. Ich bin gleich wieder da. Er wird wissen, was zu tun ist.«
    Ramis Blick schwankte zwischen Dankbarkeit, die mit Hoffnung gepaart war, und Angst, die stärker war als beides.
    Inaya spürte, dass er sie damit ansteckte. Mit dieser Angst, die mehr war als bloße Furcht.
    »Ich bin gleich wieder da. Ich mach das große Licht an und lass die Tür offen. Im Gang mache ich auch Licht. Du brauchst keine Angst zu haben. Zähl bis zehn, dann bin ich zurück - mit Vater!«
    Er öffnete die Lippen, als wollte er etwas erwidern. Aber dann presste er die Lippen fest zusammen und nickte. Kurz bevor sich Inaya von ihm abwandte, glaubte sie, dass unter seiner Decke etwas aufleuchtete.
    Rami stöhnte.
    Inaya eilte zur Tür, riss sie auf, knipste die Deckenlampe an und tastete sofort anschließend nach dem Schalter im Flur. Auch dort flammte die Beleuchtung auf.
    »Denk dran«, hörte sie hinter sich Rami kläglich rufen. »Du wolltest die Tür offen lassen. Ganz weit!«
    Sie schob das Türblatt so weit sie konnte gegen die angrenzende Wand, wo ein Schrank es stoppte.
    Dann huschte sie hinaus, geradewegs auf das Schlafzimmer ihrer Eltern zu, die bislang noch nichts von alldem bemerkt zu haben schienen.
    Sie warf einen letzten Blick zu Rami, den sie durch den Gang hindurch in seinem Bett liegen sehen konnte.
    Ein wimmerndes Knäuel.
    Aufgewühlt schlüpfte sie ins Zimmer ihrer Eltern - und wurde von einem schrecklichen Schrei empfangen.
    ***
    Bayan Saleh sah, wie seine Hand sich in flüssigem Feuer auflöste .
    Bayan Saleh sah, wie das Feuer auf die Bauchdecke der Frau tropfte, die er liebte, die Mutter seiner Kinder, und wie der feurige Regen ihre Haut, ihr Fleisch in Brand setzte. Sie schaute entgeistert zu ihm hoch, hatte sie doch Zärtlichkeit - auch Leidenschaft - von ihm erwartet, aber gewiss nicht das .
    Bayan versuchte zurückzuweichen - vor seiner eigenen bis zum Gelenk weggeschmolzenen Hand ebenso wie vor seiner Gemahlin, die jammernd die Arme um ihn schlang und ihren brennenden
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