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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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jetzt, um zehn vor zwei Uhr mittags, lag der Himmel wie in schwarzes Blei gegossen. Ein paar Schneeflocken tanzten auf die vereisten Straßen herab. Günther Assmann war das gleichgültig. Seine Vorfreude galt nicht der Sonne und den Frühlingstemperaturen, die für das Wochenende angekündigt waren und von denen seine Kollegen in jeder Probenpause redeten. Assmanns Lichtblick war der kommende Sonntagabend. »O selig der, dem er im Siegesglanze die blut’gen Lorbeern um die Schläfe windet«, rezitierte er, während er mit festem Schritt die Bertoldstraße Richtung Bahnhof hinunterging. Lorbeeren – genau die wollte er. Sie standen ihm zu. Er hatte sie verdient und viel dafür getan. Nicht nur in den letzten Wochen.
    »Die blut’gen Lorbeern«, wiederholte er voller Euphorie in einem flüssigen Sprachbogen und führte dabei eine Hand in großzügiger Geste zu seiner Stirn.
    Ein Passant, der ihm zwischen Bühneneingang und Tiefgarage entgegenkam, blickte ihn unter einer tief in die Stirn gezogenen Mütze hervor an und schüttelte den Kopf. Fast musste Günther lachen. Er wusste, dass er verrückt wirkte, wenn er mitten auf der Straße seinen Text sprach. Doch er liebte seine Rolle. Seine
Haupt
rolle. Nein, es war mehr: Er
lebte
sie. War sie. Und ein wenig Imagepflege, dachte er und verkniff sich noch immer ein Grinsen, konnte nicht schaden: Schauspieler galten ohnehin als durchgedreht, egoistisch und besessen. Ganz unrecht hatten die Leute mit diesem Denken nicht. Zumindest, was ein paar spezielle Kollegen betraf.
    Erleichtert, dass er diese bis achtzehn Uhr nicht mehr sehen musste, beschleunigte er seine Schritte. Gute vier Stunden Pause zwischen Vormittags- und Abendprobe. Der ersten Hauptprobe! Zeit zum Duschen und Entspannen nach den schweißtreibenden Strapazen des Vormittags.
    Heute Abend würde Edith im Großen Haus sitzen, in der ersten Reihe, neben dem Regisseur und seinen Assistenten. Der kleine Mann mit russischer Abstammung würde wie immer einen Apfel nach dem anderen aus der Plastiktüte neben sich ziehen, dabei laut rascheln, schmatzen, und jede Szene mindestens zweimal unterbrechen, indem er mit der verklebten Hand fuchtelte und kauend »Njet, njet« rief, ohne aber genau zu artikulieren, was ihm nicht gefiel. Das alles ging so lange, bis Edith in ihrer gesamten Eleganz aufstand und ihm aus ihren türkisfarbenen Augen einen kurzen Blick zuwarf. »Genug, Pjotr, jetzt wird geprobt«, pflegte sie zu sagen, und der Regisseur biss nickend in einen neuen Apfel und schwieg.
    Ediths kritischem Blick mussten sich alle beugen, und Wortgefechte und Chaos waren vorprogrammiert. Denn die Chefdramaturgin neigte dazu, kurz vor der Premiere ganze Szenenbilder umzustellen oder sogar mit dem Tausch von Rollen zu drohen. Der Gedanke gefiel Assmann. Er liebte es, wenn die Requisiten rumpelnd über den schwarz glänzenden Holzboden geschoben wurden. Wenn Rita aus der Statistentruppe eine Zigarette nach der anderen rauchte und schimpfte; wenn der schöne Raphaèl sich den steifen Rüschenkragen vom Hals riss und zum wiederholten Mal deklamierte, derart stranguliert könne er nicht spielen. Wenn der durchgeknallte, doch geniale Regisseur Pjotr an seinen Äpfeln beinahe erstickte vor Aufregung. Vor allem aber gefiel ihm, wie Edith gelassen durch den Trubel schritt und mit nur spärlichen Handbewegungen alle zu dirigieren verstand.
    Edith wusste genau, wie man Ziele erreichte.
    Er, Günther, wusste es auch.
    Er drückte die Tür zur Tiefgarage auf.
    Die Schlussszene war die heikelste für ihn. Der Moment, in dem er mit einem Schlüsselbund und der Laterne in der Hand vor Gretchens Gefängnis stand. »Mich fasst ein längst entwohnter Schauer«, murmelte er und glaubte für eine Sekunde, eine kühle Hand in seinem Nacken zu spüren, während seine Schuhe die Betontreppe zum zweiten Parkdeck hinunterklapperten. Doch Edith hatte die Szene abgesegnet. »Keiner spielt sie so wie du, Günther«, hatte sie gesagt und anerkennend genickt. Er hatte auf ihre perlmuttfarben geschminkten Lippen gestarrt und »danke« gemurmelt.
    Nach Edith Bergers Okay konnte nichts mehr passieren.
    Berger kannte alle einflussreichen Kritiker – und den Intendanten des Wiener Burgtheaters. Der hatte seinen Besuch der Premiere bereits im Herbst angekündigt. Besser konnte es nicht laufen!
    Das Piepsen seines Handys riss ihn aus den Gedanken. Eine SMS .
Vergiss nicht, Becci abzuholen, großer Faust.
ILD
, L.
Er schmunzelte und eilte zu seinem Wagen. Im
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