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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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und den Schmerz nicht lindern können. Niemand konnte das. Kein Mensch, kein Gott, höchstens die Zeit. Trost konnte höchstens die Trauer selbst spenden.
    Hinter Lene standen der Schuldirektor und Elisabeth Heinemann, bei ihnen ein paar Leute, die Ehrlinspiel nicht kannte. Rechts vom Grab stützte Günther Assmann sich auf den Rollstuhl seiner Mutter. Sein Blick war auf Rebecca gerichtet, während die weißhaarige Frau wie schon im Altersheim ihre knochigen Hände um die Lehnen des Rollstuhls klammerte und monoton vor sich hin nickte. Kränze und Blumensträuße reichten bis in die nächste Gräberreihe, irgendwo dazwischen lag auch der Kranz, den die Polizeidirektion geschickt hatte. Etwas abseits lehnte an einem Baum der Grabstein mit den Namen von Lene Assmanns verunglückten Eltern. Er war schon bei der Exhumierung entfernt worden. Jetzt wartete er darauf, dass die Kinder der Erde übergeben und das Grab zugeschaufelt wurde. Bis auf die Größe glich er exakt dem rauhen, rötlichen Annika-Gedenkstein im Garten der Villa. Die Gravur
Annika Assmann
und
Marius Assmann
leuchtete golden unter dem verblichenen
Angela und Werner Vanderbek.
    »Und so übergeben wir euch in Liebe der Erde«, sagte der Trauerredner, und die Sargträger hoben die breiten Bänder unter den Särgen an, ein anderer zog die Bretter über der Grube weg, auf denen sie gestanden hatten.
    Es war ein aufwendiger Papierkrieg gewesen, die Bestattung bis zu Rebeccas Entlassung aus der Kinderklinik hinauszuzögern. Fast drei Wochen war Marius’ Körper gekühlt worden. Eine Einäscherung hatten die Assmanns abgelehnt. Sie wollten, dass der Tod der Geschwister für Rebecca begreifbar war. Sie sollte die Särge sehen, keine abstrakten Aschekapseln in Urnen. Auch hatte sie Marius gestern am offenen Sarg besuchen dürfen. So würde sie besser mit dem Verlust klarkommen. Das sagte auch der Traumaspezialist von der psychiatrischen Kinderambulanz. Gesprochen hatte Rebecca seit ihrer Befreiung kein Wort.
    Nebeneinander schwebten die Särge in das Grab hinab.
    Lene Assmann stand ausdruckslos da. Ihr Gesicht war spröde, und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen. Sie war geschminkt und trug ein schickes, graues Kleid mit einem grünen Halstuch. Rebecca weinte laut, als die Särge den Blicken entschwanden, viele der Trauergäste schluchzten.
    Jo Krenz und Freitag standen neben Hanna und Ehrlinspiel. Doch kein einziger Mitschüler hatte den Weg hierhergefunden. Wahrscheinlich, weil der Begräbnistermin nirgends veröffentlicht worden war. Ehrlinspiel stimmte das traurig. Marius verließ die Welt so einsam, wie er in ihr gelebt hatte. Wie hatte sein Mitschüler Konstantin zu Beginn des Falles gesagt?
Marius ist da, wo er schon immer war. Im Unsichtbarland.
Wenigstens war Annika an seiner Seite. Und er würde einen Platz in den Herzen von Vanessa, Rebecca und Lene haben – und vielleicht auch im Herzen seines Vaters.
    Es rumpelte leise. Die Särge hatten den Grund erreicht, als Assmanns Mutter sich in ihrem Rollstuhl aufrichtete und krächzte: »Wo ist Marius? Du hast mir gesagt, dass Marius auf dem Friedhof ist, Günni! Du Nichtsnutz, du!«
    Assmann legte ihr eine Hand auf die Schulter und raunte: »Ist gut, Mutter, Marius ist doch hier.«
    »Nein, Karl, ich lass mich nicht mehr belügen! Ich lass mich scheiden!« Sie dirigierte mit einem Arm in der Luft herum, als sei die Trauergemeinde ein Orchester.
    »Mutter, bitte!«
    Rebecca heulte auf und presste ihr Gesicht an den Bauch ihrer Mutter. Assmann schob seine Mutter weg. Die Reifen des Rollstuhls knirschten im Kies, und Ehrlinspiel sah ihnen nach, wie sie durch die Reihen sonnenbeschienener Grabsteine und Kreuze in Richtung der gelben Kirche verschwanden. Da sah er sie. Vanessa Sigismund. Nur zwei Gräberreihen entfernt hinter einem Baum. Er erkannte sie sofort, obwohl sie das Gesicht in etwas Schwarzes presste und ihr Haar nicht mehr blondiert, sondern hellbraun war. Das Ding vor ihrem Gesicht … rasch nahm er Hannas Hand, als könne sie ihn vor seiner Trauer und Hilflosigkeit schützen. Jetzt sieht Hanna mich zum dritten Mal weinen, dachte er, als er ihren Blick auf seinem Gesicht spürte und sie seinen Händedruck erwiderte.
    Lene Assmann war die Erste, die eine Schaufel dunkler Erde in das Grab warf, und bei dem hohlen Geräusch, als Steinchen und Erdbrocken auf den Sargdeckeln auftrafen, musste Ehrlinspiel schlucken. Lene reichte Rebecca die Schaufel, doch sie ließ sie achtlos fallen und warf die
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