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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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Mord handelt, kann
der Fundort nicht der Tatort sein.
    Vom Eingang her nähert sich Stavropoulos und in seinem Gefolge die
Spurensicherung. Am oberen Ende des Geländes, auf der Seite der alten Synagoge,
hat sich eine Menge Schaulustiger versammelt.
    Stavropoulos begrüßt mich mit seinem ewig nörgelnden Tonfall.
»Können Sie Ihren Mordopfern nicht klarmachen, dass sie polizeilich
abgeriegelte Gegenden meiden sollten? Wir haben alle unsere Sünden abgebüßt,
bis wir endlich hier waren.«
    [33]  »Nun, ich bin auch nicht mit dem Helikopter eingeflogen worden«,
gebe ich zurück.
    Er wirft, ohne sich hinunterzubeugen, einen flüchtigen Blick auf das
Opfer. »Gehen Sie von Mord aus?«, will er von mir wissen.
    »Ich gehe von gar nichts aus, ich warte auf Ihre Ergebnisse. Alles
Weitere ergibt sich dann.«
    Ich lasse ihn bei der Leiche zurück, um mich dem Wärter zuzuwenden,
der – bekleidet mit Jeans, Stiefeln und einer Sportjacke – etwas abseits unter
einer Zypresse sitzt. Als ich mich ihm in Dermitsakis’ Begleitung nähere,
erhebt er sich.
    »Können Sie sich erinnern, wann Sie ihn gefunden haben?«, frage ich
ihn, sobald wir bei ihm anlangen.
    Er denkt kurz nach. »Es muss so gegen acht gewesen sein. Am Abend
davor war mir beim Schlafengehen aufgefallen, dass mein Handy fort war. Dann
habe ich das Nächstliegende getan und vom Festnetz aus meine Handynummer
angerufen. Als es in der Wohnung nicht klingelte und auch niemand ranging, war
mir klar, dass ich es irgendwo hier verloren haben musste. Also bin ich früher
als sonst hergekommen, um danach zu suchen, und habe stattdessen die Leiche
hier gefunden.«
    »Kommt Ihnen sein Gesicht bekannt vor? Haben Sie ihn schon einmal
gesehen?«
    »Nein, den sehe ich zum ersten Mal«, lautet seine unmissverständliche
Antwort. »Aber das hat nicht viel zu bedeuten, ich arbeite ja erst seit zwei
Wochen hier.«
    »Sind Sie hierher versetzt worden?«, hakt Dermitsakis nach.
    »Ja, von der Griechischen Bahn. Ich bin einer von denen, [34]  die man
dort loswerden wollte. Die haben sich gesagt: Statt als Bahnwärter kann man ihn
auch als Antikenwärter einsetzen, ist doch beides ein Aufpasserjob.«
    Mehr hat er nicht zu sagen. Als ich das Gelände schon verlassen
will, tritt ein beleibter, bärtiger Fünfzigjähriger auf mich zu.
    »Merenditis, ich bin für die Ausgrabungsstätte zuständig, Herr
Kommissar.« Mit diesen Worten stellt er sich vor. »Entschuldigen Sie, dass ich
ein bisschen spät dran bin, aber das ganze Zentrum war, wie Sie wissen, gesperrt.
Ich musste einen Riesenumweg machen.«
    Mir fällt auf, dass sich der Wärter strafft und nahezu
Habachtstellung annimmt. Bei der Griechischen Bahn würde er seinem Vorgesetzten
bestimmt nicht so respektvoll begegnen, doch hier ist er auf ungewohntem
Terrain und zieht es vor, auf Nummer sicher zu gehen.
    »Haben Sie einen Blick auf das Opfer geworfen?«, frage ich
Merenditis.
    »Nein, ich habe mich direkt bei Ihnen gemeldet.«
    »Na, dann kommen Sie mal mit.«
    Ich erwarte nicht viel von Merenditis’ Augenschein und finde mich
prompt bestätigt. Er schaut sich den Toten kurz an und schüttelt dann den Kopf.
    »Ist mir völlig unbekannt.«
    »Vielen Dank. Dann will ich Sie auch nicht weiter aufhalten.«
    Merenditis macht jedoch keine Anstalten zu gehen. Sein Blick wandert
zwischen der Leiche und der Grabstele hin und her. »Vielleicht will uns der
Täter mit der Wahl dieses Ortes etwas sagen«, meint er schließlich.
    [35]  »Aha, und was wohl?«, frage ich neugierig.
    »Sehen Sie, das ist die Grabstele der Hegeso, vermutlich ein Werk
des Kallimachos. Was Sie hier vor sich sehen, ist natürlich eine Kopie. Das
Original befindet sich im Archäologischen Nationalmuseum.«
    Nach einer Pause ergänzt er: »Ach, vergessen Sie, was ich gesagt
habe. Es ist eine Berufskrankheit der Archäologen, immer und überall
Symbolisches zu vermuten.«
    Bevor er geht, drückt er mir die Hand und nickt den Übrigen zu.
Stavropoulos hat seine erste Untersuchung vor Ort beendet, seine Handschuhe
jedoch noch nicht abgestreift. Die Arme des Opfers liegen jetzt an der Seite,
so dass Vlassopoulos das Jackett aufknöpfen und die Taschen durchsuchen kann.
Aus der rechten Innentasche fördert er ein Portemonnaie zutage, das er mir
herüberreicht.
    »Die anderen Taschen sind leer.«
    Rasch überprüfe ich den Inhalt: 280 Euro, zwei Bank- und zwei
Kreditkarten. Zumindest wissen wir jetzt, dass er keinem Raubüberfall zum Opfer
gefallen ist. Zuletzt
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