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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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Patsi vormittags immer zu
Hause war. Nachdem sie es kurze Zeit später noch einmal erfolglos probiert
hatte, rief sie einen Schlüsseldienst. Da hat man sie gefunden.«
    »Wo ist diese Freundin jetzt?«, frage ich Koula.
    »Ich habe sie von den Kollegen der örtlichen Polizeiwache nach Hause
bringen lassen. Ihre Adresse und die des Schlüsseldienstes habe ich mir
notiert. Wenn wir sie noch brauchen sollten, wissen wir, wo wir sie finden
können.« Sie denkt kurz nach und fährt dann fort: »Wird aber kaum nötig sein.«
    Ich gebe mir einen Ruck und beschließe – mehr aus beruflicher
Neugier als aus anderen Gründen –, noch einen letzten Rundgang durch die
Wohnung zu machen. Obwohl ich Koula anweise, zur Dienststelle zurückzufahren,
läuft sie mir, statt zu gehorchen, wie eine Schlafwandlerin hinterher.
    Da das Wohnzimmer nichts weiter Interessantes offenbart, begebe ich
mich ins Schlafzimmer. In der Zwischenzeit haben die Sanitäter die beiden toten
Rentnerinnen fortgebracht. So bleibt uns wenigstens ihr Anblick erspart.
    Im Schrank hängen zwei Kleider, zwei Röcke und ein Mantel, in den
Schubfächern liegen fein säuberlich geordnet Unterwäsche, drei Blusen und zwei
Pullover.
    Ich lasse das Badezimmer aus und werfe stattdessen noch einen Blick
in die Küche. Auf der Marmorplatte steht die halbleere Wodkaflasche, und im
Hängekasten darüber stehen vier Teller, vier Gläser, zwei Tassen, ein Kochtopf
und ein [11]  Besteckkasten. Alles ist gründlich geputzt worden, als sei der Patsi
daran gelegen gewesen, ihre Wohnung blitzblank zu hinterlassen.
    Plötzlich steht eine ausgemergelte Vierzigjährige in der Tür. »Ich
bin die Vermieterin«, stellt sie sich grußlos vor. »Eleni Grigoriadou.«
    »Sie können die Wohnung räumen lassen. Wir sind hier fertig«,
erkläre ich, da sie vermutlich genau das hören will.
    »Vassiliki war mir sechs Monatsmieten schuldig. Können Sie mir
sagen, wer mir die jetzt bezahlt? Sie hat ja keine Erben!« Ich betrachte jede
Antwort als überflüssig und steige mit Koula langsam die Treppenstufen hinunter.
»Ich lebe doch von den Mieteinnahmen, das ist mein einziges Einkommen!«, ruft
sie uns hinterher. »Was soll ich denn jetzt machen? Soll ich mich auch umbringen?«
    »Die würde gut zu meinem Vater passen«, sagt Koula, als wir im
ersten Stock ankommen.
    »Wieso?«
    »Weil auch er nur an sich selbst denkt. Meine Mutter, die sich immer
um alle gekümmert hat, hat er auf diese Art ins Grab gebracht.«
    In der Eolidos-Straße hat sich eine kleine Frauenschar versammelt,
die im Nieselregen wortlos die abfahrenden Krankenwagen betrachtet. Zwei von
ihnen haben ihre Arme schluchzend vor der Brust verschränkt. Die Übrigen
starren stumm den Rettungswagen nach. Als wir gerade in den Seat steigen
wollen, nähert sich eine der beiden weinenden Frauen.
    »Keti Sechtaridi war meine Grundschullehrerin«, sagt sie mit
tränenerstickter Stimme. »An der Ersten Grundschule [12]  von Egaleo. Bis zu ihrer
Pensionierung hat sie da gearbeitet. Damals herrschte hier große Armut.«
    »Wieso? Jetzt etwa nicht?«, ruft eine andere dazwischen. »Mein Sohn
sitzt den ganzen Tag vorm Computer und sucht wie verrückt im Internet nach
einem Job. Wenn ich ihn so sehe, frage ich mich, was er wohl tun wird, wenn sie
uns das Telefon abdrehen, weil wir die Rechnungen nicht mehr bezahlen können!«
    Nach einem Seitenblick zu mir wendet sich Koula der schluchzenden
Frau zu. »Eins kann ich Ihnen jedenfalls sagen«, erklärt sie mit lauter Stimme,
damit auch die anderen sie hören können. »Keine von ihnen hat gelitten. Alle
sind ganz friedlich eingeschlafen.«
    »Wenigstens das«, ertönt eine Stimme aus dem Hintergrund.
    Der Akkordeonspieler, der unter dem Vordach eines
Haushaltswarenladens steht, hat mit dem Spielen innegehalten und verfolgt die
Szene.
    Dann gebe ich Gas, und ein kurzes Stück weiter biege ich nach links
zur Thivon- und dann zur Petrou-Ralli-Straße ab. Zwei Schwarze stehen tief über
die beiden Müllcontainer am Straßenrand gebeugt und wühlen gierig in deren
Eingeweiden.

[13]  2
    Merkwürdigerweise fließt der Verkehr in ganz normalem
Tempo dahin, während der Mairegen sacht vor sich hin nieselt. Vielleicht liegt
es daran, dass wir die Lücke zwischen dem allmorgendlichen und dem
allmittäglichen Verkehrsstau erwischt haben. Vielleicht aber auch daran, dass
den Leuten kein Geld mehr fürs Benzin bleibt, da uns die Troika ein so striktes
Sparprogramm auferlegt hat, dass wir sogar noch
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