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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe
Autoren: Roman Rausch
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    Würzburg
    Im Jahr 1629
     
    Die Erde ist vergiftet und mit ihr die Menschen. Überall lauern Krankheit, Verrat und der Tod.
    Niemand will sich mehr erinnern, wie alles begann. Dabei ist jedem bekannt, wer die Schuld an all dem Grauen trägt.
    Mit uns hat das ganze Unwesen angefangen und nicht mit jener bedauernswerten alten Amme. Sie war das Licht und das Leben im Garten des Herrn. Die Kinder liebten sie. Und wir haben sie getötet.
    Als Vorboten unseres Verderbens wüteten Hunger, Pestilenz und der Große Krieg. Die Not war allerorten und kannte kein Erbarmen. Kein Haus wurde verschont, kein Gebet erhört.
    O Herr, höre das Flehen deiner Kinder.
Aber Gott hörte nicht. Er hatte sich von uns abgewandt und schickte uns die Zeichen. Der Himmel öffnete sich, und heraus traten die sieben Engel mit den sieben Plagen. Das Ende aller Tage war angebrochen. Die Abrechnung stand bevor.
    Aber noch immer glaubten wir, das Schicksal selbst in der Hand zu haben. In unserer Vermessenheit suchten wir nach Schuldigen.
    Wer hat nur unsere Kühe verhext, dass sie keine Milch mehr geben? Wer hat Frost und Hagel gezaubert, dass uns das tägliche Brot genommen wird? Und wer hat die Frucht unserer Weiber verhext, dass sie kein lebend Kind mehr zur Welt bringen?
    O gnädiger Landesherr, gedenke deiner Untergebenen in ihrer größten Not und beende das gotteslästerliche Treiben, damit nicht länger Schaden über dich und dein Volk kommt.
    Bischof Ehrenberg verstand. Es musste gehandelt werden, schnell und bedingungslos, bevor sich das Volk erneut gegen die Herrschaft stellte.
    Als Erstes traf es alleinstehende Weiber, Bettlerinnen und Witwen, die nur wenig Schutz genossen. Wir machten sie zu Hexen, die nachts auf ihren Besen ausfuhren, um mit dem Teufel zu buhlen. Wer sich sträubte, lernte die Folterknechte kennen.
    Die Scheiterhaufen brannten an vielen Orten, doch nirgends so oft wie zu Gerolzhofen und vor den Toren dieser Stadt. Wir leisteten gute Arbeit. Die panische Angst im Volk würde mit dem Brennen der Hexen bald versiegen.
    Aber anstatt immer weniger Hexen und Teufelsanbeter auf die Scheiterhaufen führen zu müssen, tauchten an allen Ecken immer mehr auf, einer Epidemie gleich, die über alle Stände hinweg um sich griff. Es war, als hätten wir erst durch unseren Eifer die Pforten der Hölle geöffnet und die Heerscharen des Teufels aus ihrem Gefängnis befreit. Aus jedem Haus drangen neue Schandtaten ans Licht; sei es die eines Ratsherrn, Handwerkers oder Bauern oder die eines Edlen oder eines Priesters. Nirgends ist Gott mehr zu finden.
    Es ist gekommen der große Tag des Zorns, und wer wird bestehen? Niemand. Die Herrschaft des Teufels hat begonnen, und wir folgen ihm geradewegs in die Hölle.
    Doch dann, als alles verloren schien, passierte etwas, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Ein Kind erhob sich aus unserer Mitte.
    Kehret um
, mahnte es uns.
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, bleibt euch das Himmelreich verschlossen.
    Hätten wir nur auf sie gehört.
    O Herr, ich bekenne vor dir, dem allmächtigen Gott, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken. Durch mein Vergehen sind viele unschuldige Seelen auf dem Scheiterhaufen gerichtet worden.
    Vergib einem reumütigen Sünder … oder scher dich zum Teufel.

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    1
    Die Ohrfeige traf Kathi mitten ins Gesicht.
    Die Wucht des Schlags war so groß, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie taumelte und kippte zur Seite, um hart auf dem Boden aufzuschlagen. Es folgte ein Moment der Stille, in dem Zeit und Schmerz von ihr genommen waren.
    Sie seufzte. So musste es sich anfühlen, wenn man starb. Ein verlockendes Gefühl, selbst wenn man gerade erst zehn Jahre alt war.
    Ein hohes, nadelspitzes Pfeifen in ihrem Kopf holte sie in das Hier und Jetzt zurück. Der Schmerz ging ihr durch Mark und Bein. Obwohl er alles andere ausblendete, hatte er doch sein Gutes: Er bewahrte sie vor den ewig gleichen Vorwürfen des Apothekers Grein und dem schadenfrohen Kichern von Lene und Lotti, seinen hübschen, aber missratenen Zwillingstöchtern. Sie standen in sicherer Entfernung von ihrem Vater, der in solchen Augenblicken unberechenbar war. Es war daher besser, ihm nicht zu nahe zu kommen und sein aufbrausendes Gemüt nicht weiter zu reizen.
    Kathi wusste, dass sie keinen Fehler begangen hatte. Doch nun sollte sie für etwas bestraft werden, das sie nicht zu verantworten hatte.
    Für die
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