Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
Offenbar hatten sie
mich hingehalten, um ihrem Günstling die Möglichkeit zu geben, meine Erfindung
als eigene Idee zu präsentieren.«
    »Ich weiß, Merenditis, der Direktor der Ausgrabungsstätte [415]  auf dem
Kerameikos-Friedhof, hat es mir erzählt. Er hat mir auch den Namen der Person
genannt, die den Auftrag schließlich bekommen hat, aber ich habe ihn wieder
vergessen.«
    »Panoritis vielleicht?«
    »Ja, Panoritis.«
    »Mehr hat er nicht dazu gesagt?«
    »Nein, wieso?«
    »Hat er nicht erwähnt, dass Panoritis sein Neffe ist?«
    Das hat er mir wohlweislich verschwiegen. Während ich Nassiotis
mustere, versuche ich die verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit zu
erkennen und dahinterzukommen, wo bei ihm die Grenze zwischen normalem Menschen
und besessenem Mörder verläuft. Genauso frage ich mich, wo bei mir der
Polizeibeamte aufhört und der normale Bürger anfängt, der sich ständig
benachteiligt fühlt.
    »War das der Grund für das Schierlingsgift?«, frage ich ihn. »War
das der Grund, dass Sie sich für archäologische Stätten als Leichenfundort und
für Pfeil und Bogen als Tatwaffe entschieden haben?«
    »Ja, um die heutigen Griechen daran zu erinnern, dass unsere antiken
Vorfahren genau wussten, was Vergeltung heißt.«
    Das hat der Mörder mit den beiden Selbstmördern von der Akropolis
gemeinsam: Alle drei verweisen auf die antiken Vorfahren. Der Unterschied ist
nur, dass Letztere nicht andere, sondern sich selbst umgebracht haben.
    »Ich kann Ihren Ärger und Ihre Wut nachvollziehen. Aber war es das
wirklich wert? War es nötig, vier Menschen umzubringen, die letztlich nichts
mit dem Unrecht zu tun hatten, das Ihnen, wie Sie behaupten, angetan worden
ist?«
    [416]  Er blickt mich an und scheint darüber nachzudenken, ob er mir
antworten soll oder nicht. »Ich bin ein Gastarbeiterkind, Herr Kommissar«,
meint er schließlich. »Die Wohnung und den Laden, die Sie in der
Sosopoleos-Straße gesehen haben, hat mein Vater von seinen Ersparnissen als
Gastarbeiter gekauft. Als er damals auf der Suche nach Arbeit fortging – ich
war damals drei –, ließ er meine Mutter und mich hier zurück. Zwei Jahre später
hat er uns nachgeholt, und wir wohnten zusammen mit vier anderen Familien in
einem Haus, das seine Firma ihren ausländischen Arbeitskräften zur Verfügung
gestellt hatte. Ich kam in die Schule, und anfangs fiel mir alles sehr schwer,
weil ich kein Wort Deutsch sprach. Hätte sich meine Lehrerin nicht für mich
eingesetzt, hätte ich vielleicht niemals studiert. Nach meinem Abitur kehrten
meine Eltern nach Griechenland zurück, doch ich blieb zum Studium in
Deutschland. Ich hielt mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, ich schaffte
meinen Abschluss in Archäologie und habe noch dazu einen Studiengang für
Medientechnik absolviert. Denn ich wusste von Anfang an, was ich wollte:
Ausgrabungsstätten und Museen mit den Mitteln moderner Technologie zu
präsentieren – das war mein Traum. Und den erfüllte ich mir schließlich mit der
Gründung meines eigenen Unternehmens. Ich war ein Gastarbeiterkind mit einer
Erfolgsstory. Ich gehörte zu denen, die es zu etwas gebracht hatten.«
    Er verstummt, doch plötzlich verzerrt sich seine Miene vor Wut.
    »Da der griechische Staat keine Perspektive zu bieten hatte, musste
mein Vater nach Deutschland auswandern. Und als sein Sohn zurück nach
Griechenland kam, kam diesem Staat [417]  nichts Besseres in den Sinn, als ihn über
den Tisch zu ziehen. So ist uns beiden, meinem Vater und mir, Unrecht
geschehen. Jetzt habe ich uns beide gerächt.«
    Er blickt mich immer noch mit demselben empörten Ausdruck an. Was
soll ich darauf erwidern? Dass das Einzige, was uns mit den alten Griechen
verbindet, die Vertreter der Troika sind, die man auch als die Spartaner von
heute ansehen kann? Angesichts dessen bleibt mir nur, Mania meine Anerkennung
auszusprechen. Sie hat in allen Punkten ins Schwarze getroffen.
    »Wir sind fertig, Herr Nassiotis«, sage ich. »Nun haben Sie etwas
ganz anderes, als ursprünglich angekündigt, ausgesagt.«
    Um ihn ins Untersuchungsgefängnis zu überstellen, lasse ich Koula
den uniformierten Kollegen wieder hereinrufen. Bevor Nassiotis den Verhörraum
verlässt, bleibt er kurz an der Tür stehen.
    »Eins noch, Herr Kommissar: Der griechische Staat ist weltweit die
einzige Mafia, die es geschafft hat, bankrottzugehen. Alle anderen kriminellen
Vereinigungen blühen und gedeihen.« Er wartet auf einen Kommentar, doch ich
bleibe stumm.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher