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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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Haar mit graumelierten Schläfen.
Er trägt einen grauen Anzug mit Krawatte, und seine Hände stecken in
Handschellen. Vor ihm liegt eine Laptoptasche auf dem Tisch. Bei meinem
Eintreten lächelt er mir gefasst entgegen.
    »Nehmen Sie ihm die Handschellen ab«, weise ich den uniformierten
Kollegen an, der hinter ihm steht.
    Nachdem er meiner Aufforderung Folge geleistet hat, verlässt er den
Raum. Ich mustere Nassiotis kurz, der mir immer noch zulächelt. Er hält sich
bedeckt und wartet darauf, dass ich den Anfang mache. Und ich meinerseits warte
auf Koula, damit es endlich losgehen kann. Endlich tritt sie ein und klappt
sogleich ihren Laptop auf.
    »Da Sie mir immer noch Ihre Aussage schuldig sind, die Sie auf dem
griechischen Konsulat machen wollten, haben Sie jetzt die Gelegenheit, direkt
bei mir auszusagen, Herr Nassiotis«, sage ich.
    Er lächelt nach wie vor. »Früher oder später hätte ich ohnehin
gestanden, Herr Kommissar. Gestern bin ich mit dem Taxi an der
Alkamenous-Straße vorbeigefahren. Ich wollte zum Laden meines Vaters, doch als
ich gesehen habe, dass die Tür aufgebrochen und das Licht an war, wurde mir
klar, dass Sie mich gefunden hatten. Da wusste ich, dass alles vorbei ist.«
    »Ja, dennoch haben Sie versucht, das Land zu verlassen.«
    »Da ich mir ausrechnen konnte, dass Sie die Direktflüge überwachen,
wollte ich via Italien zurück nach Deutschland. [413]  Doch auch dort hätten Sie
mich ohne Zweifel ausfindig gemacht.«
    »Warum wollten Sie dann weg?«
    »Als deutscher Staatsbürger hoffte ich, dass mich die deutschen
Behörden nicht ausliefern würden. Ich wollte, dass mein Prozess in Deutschland
stattfindet und mir das bürokratische Hin und Her in Griechenland erspart
bleibt.«
    »Sie schulden mir ein paar Erklärungen.«
    »Was für Erklärungen? Sie wissen doch schon alles.«
    »Ich würde trotzdem gerne hören, warum Sie das alles getan haben.
Wieso haben Sie die beiden ersten Opfer getötet? Nur weil sie bekannte
Steuerhinterzieher waren? Und warum die beiden anderen? Weil sie zu den
Profiteuren des politischen Systems gehörten, wie Sie behaupten? Was wollten
Sie damit beweisen? Dass es alternative Methoden gibt, um Steuern
einzutreiben?«
    »Ich würde sagen, meine ist die einzig wirksame Methode. Das habe
ich auch bewiesen, doch lassen wir das. Alles begann damit, dass ich eine Idee
hatte. Kurz nachdem ich den Auftrag für die Videodokumentation archäologischer
Stätten bekommen hatte, präsentierte ich das Konzept für einen neuartigen
audiovisuellen Guide. Damit hat der Besucher, anders als beim reinen
Audio-Guide, die Möglichkeit, auf einem Tablet den Plan des Ausgrabungsgeländes
mit audiovisuellen Informationen zu öffnen. Auf dem Touchscreen kann man den
gewünschten Ort auswählen und die entsprechenden Erläuterungen hören, ohne
notwendigerweise die ganze Ausgrabung abzulaufen. Das Tablet ist außerdem mit
didaktischem Fotomaterial versehen, das bei Interesse aufgerufen werden kann.«
    [414]  Er holt kurz Luft – in erster Linie, um festzustellen, ob ich
Zwischenfragen habe. Als er merkt, dass ich stumm bleibe, fährt er fort. »Eine
simple Sache, die sich auf die Funktionsweise der Tablet- PC s stützt, Herr Kommissar. Nichts Besonderes, aber von
großer praktischer Bedeutung für archäologische Stätten und Museen. Ich wollte
die Idee zuerst in Griechenland anbieten, bevor ich sie in anderen Ländern wie
beispielsweise Italien vorstelle.«
    Erneut hält er inne, um seine Gedanken zu ordnen.
    »Anfänglich war man sehr angetan. Sie wissen ja, wie das so ist in
Griechenland. ›Hochinteressant! Das finden wir toll! Das wollen wir unbedingt
haben!‹ Die Begeisterung hat mich angesteckt, da ich den Eindruck hatte, dass
man sich tatsächlich dafür einsetzen wollte. Langer Rede kurzer Sinn: Ein
ganzes Jahr lang hat man mich hingehalten, zunächst unter dem Vorwand
bürokratischer Hürden, die angeblich die Entscheidung hinauszögerten. Dann
gaben sie mir grundsätzlich grünes Licht, verlangten aber vorher noch diesen,
dann wieder jenen offiziellen Wisch. Immer wenn ich ein Schreiben vorlegte,
meinten sie: ›Schön, aber das reicht noch nicht‹, und verlangten wieder etwas
Neues. Vieles musste ich mir in Deutschland mit beglaubigter Übersetzung
beschaffen. Allein für die Reisen habe ich ein Vermögen ausgegeben. Schließlich
erklärte man mir, mein Antrag sei abgelehnt. Drei Monate später wurde genau
dieselbe Idee von einem Griechen eingereicht und genehmigt.
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