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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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Leben weggeworfen. Dann bleibe ich beim politischen Selbstmord hängen:
Wenn es die Variante »ökonomischer Selbstmord« gäbe, dürfte man gleich ganz
Griechenland darunter zusammenfassen, und zwar unter dem Stichwort »kollektiver
Selbstmord«. Aber selbst wenn die vier Rentnerinnen die Tat gemeinsam geplant
und begangen haben, so war die Entscheidung jeder Einzelnen von ihnen, die
Schlaftabletten mit dem Glas Wodka hinunterzuschlucken, doch ein individueller
Akt. Meine sonst so fruchtbare innere Zwiesprache mit den Lexikoneinträgen
bringt mich diesmal überhaupt nicht weiter.
    »Kommst du zum Essen?«
    [26]  Adriani hat Juvarlakia – Hackfleischbällchen mit Zitronensoße und
Reis – zubereitet. Das Gericht schmeckt lecker und hätte einen besseren Esser
verdient als mich. Wir kauen eine Weile schweigend darauf herum, bis Adriani
die Gabel sinken lässt und mich anblickt.
    »Hat sich Katerina bei dir gemeldet?«
    »Nein, heute nicht.«
    »Wann habt ihr zuletzt miteinander gesprochen?«
    »Keine Ahnung, es muss ein paar Tage her sein.«
    »Mich ruft sie auch nur jedes Schaltjahr an. Und besucht hat sie uns
schon seit einer Woche nicht mehr. Sie hat sich ganz zurückgezogen.«
    »Sie wird eben viel zu tun haben.«
    »Schön wär’s.« Nach einer kurzen Pause blickt sie mich wieder an:
»Da steckt etwas anderes dahinter.«
    »Etwas anderes?«, gebe ich überrascht
zurück. »Was denn?«
    »Wenn ich das nur wüsste… Aber mein Gefühl sagt mir, der Grund liegt
nicht darin, dass sie viel zu tun hat.«
    »Willst du damit sagen, dass etwas mit Fanis ist?«, frage ich
beunruhigt.
    »Ich weiß es nicht.« Ihre Antwort bringt mich auf die Palme.
    »Also, hör mal, machst du das absichtlich?«, frage ich.
    »Was denn?«
    »Alles Unangenehme beim Abendessen aufzutischen. Wenn dein Verdacht
wenigstens glaubwürdig wäre… Aber du siehst Gespenster.«
    »Du wirst schon sehen, dass ich recht habe.« Und dann wirft sie mir
einen ihrer Sinnsprüche an den Kopf. »Der Mutterinstinkt irrt nie.«
    [27]  Damit ist es ihr gelungen, mir eine Laus in den Pelz zu setzen.
Ich höre auf zu essen und schiebe den Teller zurück. ›Für schlimmere Zeiten‹,
geht mir dabei durch den Kopf.

[28]  4
    Ich gebe zu, es ist mir ganz recht, dass keine neuen
Mordfälle vorliegen und ich mich auf die Archivarbeit konzentrieren kann.
Vermutlich wähne ich mich damit auf der sicheren Seite. Man kann schließlich
keine Fehler machen, wenn man nichts zu ermitteln hat. Doch sollte man sich nie
zu früh freuen. Das Handy läutet Sturm, als ich um halb neun Uhr beim
morgendlichen Kaffee sitze, während Adriani gerade grüne Bohnen putzt.
    »Schluss mit dem Großreinemachen, Herr Kommissar. Wir haben einen
Toten.« Vlassopoulos’ Stimme vibriert freudig, als hätte er beim Toto gewonnen,
das er ausnahmslos jede Woche spielt.
    »Wo?«
    »Auf dem Kerameikos-Friedhof.«
    »Seit wann sind wir auch für Tote zuständig, die zur Bestattung auf
dem Friedhof liegen, Vlassopoulos?«, frage ich erstaunt.
    »Aber nein, ich meine doch den antiken Kerameikos-Friedhof, Herr
Kommissar, in der Pireos-Straße.«
    »Gut, ich komme.«
    Ich weiß nicht, ob ich fluchen oder mich bekreuzigen soll, damit die
Aufklärung erfolgreich vonstattengeht. Auf alle Fälle verfluche ich Gikas, der
mir den Floh mit der Beförderung ins Ohr gesetzt hat.
    [29]  »Nehmen Sie nicht Ihren Wagen, ich schicke Ihnen besser einen
Streifenwagen vorbei«, sagt Vlassopoulos.
    »Wozu denn?«
    »Das Zentrum ist gleich wieder dicht.«
    »Was ist jetzt schon wieder los?«
    »Fragen Sie mich was Leichteres«, entgegnet er, bevor er auflegt.
    »In Griechenland hält ein Wunder nie länger als drei Tage an«, sagte
meine selige Mutter immer. Obwohl, in meinem Fall hat es sogar etwas länger
gedauert, bis wieder ein Mord passierte. Ich bemühe mich redlich, mir selbst
Mut zuzusprechen, denn der Mann auf dem Kerameikos-Friedhof muss ja nicht
unbedingt einem Mord zum Opfer gefallen sein, er könnte auch einen Unfall oder
einen Herzschlag erlitten haben.
    Fünf Minuten später steht der Streifenwagen der Polizeiwache Vyronas
vor der Tür. Ein junger Kollege sitzt am Steuer.
    »Wie fahren wir hin?«, ist meine erste Frage.
    »Wie immer, unter Einsatz der Sirene.«
    »Wer geht denn heute wieder auf die Straße?«
    Er wirft mir über den Rückspiegel einen Blick zu. »Ist auch nicht
weiter wichtig, Herr Kommissar. Einmal ist es ein Berufsverband, dann wieder
irgendeine Partei, beim dritten Mal irgendeine
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