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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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fische ich seinen Personalausweis heraus. Es handelt sich
um einen gewissen Athanassios Korassidis, geboren am 13. 8. 1957. Das Dokument
wurde vom Polizeirevier Pangrati ausgestellt.
    »Er hat kein Handy dabei«, bemerkt Vlassopoulos.
    »Das hat er vielleicht zu Hause gelassen. Für einen Selbstmord war
es ja nicht unbedingt nötig.« Die andere Möglichkeit wäre: Er wurde ermordet,
und der Täter hat es an sich genommen.
    Dann reiche ich Vlassopoulos den Ausweis weiter. »Gib Koula
Bescheid, sie soll Nachforschungen anstellen.«
    [36]  Vlassopoulos zieht sein Mobiltelefon heraus, und ich wende mich
an Stavropoulos. »Sind Sie auf etwas Auffälliges gestoßen? Oder ist es noch zu
früh für Vermutungen?«
    »Teils, teils«, sagt er. »Auf den ersten Blick ist nichts
Verdächtiges festzustellen. Bei der Obduktion stellt sich möglicherweise
heraus, dass er an Herzversagen gestorben ist oder Gift genommen hat. Mit
Sicherheit hat er sich nicht die Pulsadern aufgeschnitten. Aber es gibt da
etwas, das mich stutzig macht.«
    Er dreht die Leiche auf den Bauch und deutet auf den Nacken. »Fällt
Ihnen etwas auf?«, fragt er mich.
    Als ich mich hinunterbeuge, erkenne ich eine Art Furunkel. »Da ist
eine kleine Schwellung, so etwas wie ein Mückenstich.«
    »Sehen Sie etwas genauer hin.«
    Er kramt in seiner Arzttasche, zieht eine Lupe hervor und überreicht
sie mir. Ich beuge mich hinunter und betrachte die Sache aus der Nähe. Am
Furunkel kann ich einen schwach geröteten Einstich erkennen.
    »Was kann das sein?«
    Er hebt die Schultern. »Vielleicht ist es tatsächlich ein Mückenstich,
der sich entzündet hat. Vielleicht aber stammt der Einstich auch von einer
Nadel.«
    »Von einer Nadel?«
    »Ja, von einer Spritze. Kann sein, dass ihm jemand etwas in den
Nacken injiziert hat. Aber das kann ich erst nach der Autopsie mit Sicherheit
sagen.«
    Bevor ich Klarheit in meine Gedanken bringen kann, werde ich von
Vlassopoulos unterbrochen. »Koula ist dran, Herr Kommissar.«
    [37]  »Athanassios Korassidis, Herr Charitos, war ein Chirurg mit einer
Praxis in der Karneadou-Straße 12 in Kolonaki. Den Familienstand konnte ich
noch nicht ermitteln.«
    Die Adresse im schicken Kolonaki-Viertel und der sündteure Maßanzug
deuten auf eine florierende Privatpraxis hin. Sollte Korassidis Selbstmord
begangen haben, warum nicht dort? Andererseits ist kaum anzunehmen, dass jemand
Korassidis hierhergefahren hat, um ihn vor Ort mit einer Spritze in den Nacken
zu töten. Er muss anderswo umgebracht worden sein. Aber wo? Und wieso hat man
ihn auf dem antiken Kerameikos-Friedhof abgelegt? Ist an Merenditis’
symbolträchtigen Vermutungen vielleicht doch etwas dran?

[38]  5
    Wenn man einen Arzt zum Schwiegersohn hat, sagt man sich:
»Hoffentlich brauche ich ihn nie.« Bei mir hat sich jedoch bald herausgestellt,
dass ich seinen Rat oft benötige, wenn auch nicht in gesundheitlichen Belangen.
Ich beginne also mit meinen Recherchen zum Mordopfer bei Fanis. »Kennst du
vielleicht einen Chirurgen namens Athanassios Korassidis?«, frage ich ihn am
Telefon.
    »Korassidis? Gibt es einen Kollegen, der ihn nicht kennt? Um bei ihm
einen Termin zu bekommen, muss man mehrere Monate warten. Wieso fragst du?«
    »Weil er heute Morgen tot auf dem
Kerameikos gefunden wurde.«
    »Wurde er ermordet?«
    »Wir wissen es nicht, vielleicht handelt es sich auch um Selbstmord.
Wir ermitteln noch.«
    »Es würde mich nicht wundern, wenn ihn jemand umgebracht hätte.«
    »Wieso?«, frage ich neugierig.
    »Weil er zwar ein hervorragender Chirurg, aber ein grässlicher
Mensch war. Seine Geldgier war notorisch. Er hat seine Patienten bis aufs Hemd
ausgezogen. Und in der Klinik, an der er operierte, legte er sich mal mit den
Kollegen, dann wieder mit den Krankenschwestern an. In Magenoperationen war er
eine Kapazität, ansonsten aber ein Kotzbrocken.«
    [39]  »Hatte er vielleicht familiäre
Probleme?«
    »Hm, über seine Familienverhältnisse kann ich nichts sagen.
Finanzielle Sorgen hatte er jedenfalls keine.«
    »Weißt du, an welcher Klinik er
gearbeitet hat?«
    »An der Ajia-Lavra-Klinik, die liegt in der Katechaki-Straße. Seine
privaten Sprechstunden hat er jedoch in der Karneadou-Straße abgehalten«,
erläutert er mir zum Abschluss.
    Fanis’ Aussagen bestärken den Verdacht, dass es sich um Mord
handelt, und das begeistert mich wenig. Wenn ich mich auf die Machenschaften
medizinischer Großverdiener und teurer Privatkliniken einlasse, laufe ich
Gefahr, mir jede
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