Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
meinem Kopf zu bannen und mich
stattdessen dem Fall zuzuwenden. Die ersten, noch recht vagen Nachfragen haben
ergeben, dass Korassidis ein unsympathischer Typ war, der sich mit vielen
Leuten anlegte, also auch eine Menge Feinde hatte. Obwohl das durchaus ein
Mordmotiv sein könnte, erklärt es noch lange nicht, wieso die Tat auf diese Art
und Weise [46]  geschah. Es wäre doch viel einfacher gewesen, Korassidis zu
erschießen oder mit einem schweren Gegenstand zu erschlagen. Der Mörder hat ihm
jedoch Gift in den Nacken injiziert. Das allein könnte schon eine Botschaft
sein, genauso wie die Tatsache, dass die Leiche auf dem archäologischen
Kerameikos-Friedhof platziert wurde. Nur, was hat sie zu bedeuten? Und wie soll
ich bloß den eigentlichen Tatort ausmachen? Nur da sind weitere Aufschlüsse
über die Hintergründe und das Motiv zu finden. Mein armes Hirn läuft auf
Hochtouren, doch ich komme nicht weiter. Als ich aus meinen Gedanken auftauche
und zum Wagenfenster hinausblicke, fahren wir gerade einen großen Boulevard
entlang. »Wo sind wir jetzt?«, frage ich Vlassopoulos.
    »Auf dem Thisseos-Boulevard. Die Myrtias liegt ein Stückchen weiter
auf der linken Seite.«
    Zur Linken der Myrtias-Straße befindet sich ein Park, an dem auch
Korassidis’ Haus liegt. »Haus« ist eine glatte Untertreibung, denn es handelt sich
um eine zweistöckige Trutzburg, die eher in die Schweizer Berge passen würde
als nach Ekali. Davor erstreckt sich eine Gartenanlage, deren dichtes Grün
durch verschiedenfarbige Rosenbeete aufgelockert wird. Ein Gärtner ist gerade
dabei, die Rosenstöcke zu gießen. Auf unser Klingeln öffnet er die Tür.
    »Herr Korassidis ist nicht zu Hause«, erklärt er nach einem kurzen
Blick auf meinen Dienstausweis.
    »Sind Sie hier fest angestellt?«, frage ich ihn.
    »Nein, ich komme nur dreimal die Woche. Dann gieße ich und kümmere
mich um den Garten.«
    »Wie gut kannten Sie Korassidis?«
    Er blickt uns durchdringend an. Die Frage, die ihm auf [47]  der Zunge
liegt, schluckt er geflissentlich hinunter und antwortet mit einem
Achselzucken. »Seit drei Jahren bin ich für den Garten zuständig. Ich erledige
meine Arbeit, und er bezahlt mich dafür. Mehr hatten wir nicht miteinander zu
tun.«
    »Wer arbeitet sonst noch hier außer
Ihnen?«
    »Frau Anna. Sie führt hier das Kommando. Zweimal die Woche kommen
noch zwei Georgierinnen zum Reinemachen.«
    »Ist Frau Anna im Haus?«
    »Ja, sie wird in der Küche sein. Warten Sie, ich bringe Sie zu ihr.«
    Er dreht den Wasserhahn zu und übernimmt die Sightseeingtour. Das
Anwesen hat einen Haupt- und einen kleineren Seiteneingang. Der Gärtner wählt
die Seitentür und führt mich durch einen schmalen Flur zur offenen Küchentür.
Eine weißhaarige Frau steht mit dem Rücken zur Tür und wäscht im Spülbecken
Gemüse. Als sie uns kommen hört, wendet sie sich um. Ihrem zerknitterten
Gesicht nach zu schließen, muss sie über sechzig sein.
    »Frau Anna, die Herren sind von der Polizei und möchten Sie
sprechen«, erklärt der Gärtner.
    Unter dem Vorwand, seine Personalien zu benötigen, schicke ich ihn
mit Dermitsakis vor die Tür. Vlassopoulos weise ich an, den hinteren Teil des
Gartens zu inspizieren, damit ich mit Frau Anna allein sein kann. Ich erspare
mir lange Vorreden und serviere ihr, um zu sehen, wie sie reagiert, ohne
Umschweife die Nachricht von Korassidis’ Ermordung. Sie fasst sich mit beiden
Händen ans Gesicht, in ihrem Blick zeichnet sich eine Mischung aus Verwunderung [48]  und Angst ab. Doch es ist ein stummer Schrecken, ohne ein Wort und ohne
einen Ausruf.
    »Seit wann kennen Sie Korassidis?«, frage ich dann.
    »Seit er das Haus hier gebaut hat. Da war er noch verheiratet. Weil
auch seine Frau berufstätig war, haben sie jemanden gesucht, der sich um den
Haushalt kümmert und da ist, wenn die Mädchen von der Schule kommen. Ich kam
auf Empfehlung, und wir wurden uns schnell einig. Das ist jetzt fünfzehn Jahre
her. Nach der Scheidung habe ich die ganze Verantwortung für den Haushalt
übernommen – zum Glück unterstützen mich noch zwei Putzhilfen. Solange die
Mädchen im Ausland sind, fällt aber nicht allzu viel Arbeit an.«
    »Wohnen die Töchter bei ihm?«
    »Ja, seine Exfrau hat wieder geheiratet.«
    »Sie kennen Korassidis also schon eine ganze Weile. Was war er für
ein Mensch?«
    Sie zögert kurz. »Ich kann nichts gegen ihn sagen«, lautet ihre vage
Antwort.
    »Hören Sie, Korassidis ist tot. Er wird also nicht erfahren,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher