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Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Titel: Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Autoren: Tamara Ramsay
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dann nur noch schneller weiter und verschwanden hinter den Eltern im
Dunkel der Nacht.
    Sogar Anni, ihre liebste Freundin,
eilte vorbei, ohne sie anzublicken.
    Das war zuviel für Dott. Sie lief ihr
nach und packte sie, um sie zurückzuhalten. Kaum aber hatte sie ihren Arm
berührt, als sich Anni von ihr losriß und zitternd und laut schreiend hinter
den Vorangegangenen herlief.
    »Das ganze Dorf ist fertig mit mir!«
dachte Dott. »Es ist alles aus, und das beste ist, wenn ich niemals wieder heimkehre.«
    Und sie warf sich auf den Boden und
weinte laut, denn sie meinte, daß sie nun ganz allein zurückgeblieben war.
    Als sie aber so eine Weile gelegen
hatte, hörte sie plötzlich, wie eine tiefe Stimme neben ihr fragte: »Wer ist
es, der da so weint?«
    Sie richtete sich aus dem Gras auf und
erkannte den alten Schäfer, der, vom Feuer hell beleuchtet, vor ihr stand.
    »Ach, Vater Gnilica«, rief Dott, »ist
es denn wirklich so, daß auch du mich nicht mehr kennen willst?« Und sie
schluchzte von neuem.
    Der Schäfer bewegte sich nicht von der
Stelle.
    »Komm einmal ganz nahe an mich heran,
Kind, und weine nicht so«, sagte er, »gib mir deine Hand, denn ich sehe dich
nicht.«
    Die Kleine meinte nun, Vater Gnilica
wolle sie prüfen, ob sie jetzt gehorsam sein konnte. Denn sie wußte, daß er die
schärfsten Augen hatte, und viele sagten, daß er sogar mehr sehen konnte als
andere Menschen.
    Aber es war wirklich, als sei er in
dieser schrecklichen Nacht plötzlich blind geworden, denn als sie ihre magere,
kleine Hand gehorsam in seine harte, braune gelegt hatte, tastete er behutsam
nach ihrem Kopf und strich über ihre Stirn und über ihr Haar.
    »Vater Gnilica«, sagte die Kleine
ängstlich, »ich bin doch Dott! Siehst du mich denn wirklich nicht? Ich sehe
dich doch ganz deutlich vor mir stehn!« Und es wurde ihr ganz unheimlich
zumute.
    Vater Gnilica hielt noch immer ihre
Hand in der seinen.
    »Das glaube ich schon, daß du mich
sehen kannst, mein Kind«, sagte er leise mit seiner tiefen, weichen Stimme. »Es
ist ja hell genug in dieser Nacht. Aber darum ist noch nicht gesagt, daß auch
ich dich sehen kann, ebensowenig wie dich soeben Gerd und deine Ehern und das
ganze Dorf gesehen haben. Denn das mußt du nun wissen, kleine Dott, daß dich in
dieser Nacht ein wunderbares Schicksal getroffen hat. Es wird dich für lange
Zeit überhaupt kein lebender Mensch mehr sehen können. Denn du hast die Blüte
der Rennefarre im Schuh und bist nun für alle Menschen unsichtbar geworden.«
    Die kleine Dott wußte so gut wie jedes
Kind in der Mark, was es bedeutete, wenn einem die Blüte der Rennefarre in der
Johannisnacht in den Schuh fiel! Darum setzte sie sich auch sogleich auf die
Erde und versuchte, die Schuhe von den Füßen zu bekommen. Als sie aber merkte,
daß sie so fest saßen, als wenn sie angewachsen wären, da warf sie sich voller
Verzweiflung ins Gras. Denn nun wußte sie, daß ihr weder der Schäfer noch
irgendein Mensch auf Erden mehr helfen konnte.
    »Ach, wenn mir doch nur die Geschichte
von der Rennefarre früher eingefallen wäre«, sagte sie schluchzend. »Dann wäre
ich natürlich nicht in der Johannisnacht durch die Felder gelaufen!«
    Bei diesen Worten richtete sie sich auf
und blickte verzweifelt umher. Da sah sie, daß der Schäfer sie verlassen hatte
und daß sie allein am Feuer zurückgeblieben war.

Die
Johannisnacht
     
    Welch eine Nacht das war!
    Das glühende Holz krachte, die roten
Funken sprühten, und die Flammen brausten gewaltig zum Himmel. Die Kleine
wußte, daß die Mittsommerfeuer angezündet wurden, um der Sonne bei ihrem
Aufstieg den Weg zu bereiten, wie einst der heilige Johannes dem Herrn den Weg
bereitete.
    Denn das war die Nacht vor dem Tage, an
dem die Sonne das Dunkel besiegen und zu ihrem höchsten Thron emporsteigen
wird.
    In dieser Nacht kommt der heilige
Johannes auf einer unsichtbaren Leiter vom Himmel zur Erde herab, um das Korn
und den Wein zu segnen. Da heiligt er die Feuer, an die man die Kranken bringt,
damit sie genesen, und an denen man Lichter anzündet, um sie den Toten zu
bringen und um die Felder damit zu weihen.
    In dieser Nacht werden auch alle Blüten
gesegnet, damit sie zur Frucht werden. Da beginnen die Grillen ihre rauschenden
Geigenlieder. Aus dem Wiesengrunde steigt der dumpfe Gesang der Frösche. In
funkelnden Zügen beginnen die Johanniswürmchen ihre Liebesreigen zu tanzen und
bei den geheimnisvollen Hochzeitsfesten der Erdgeister zu leuchten. —
    In
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