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Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott

Titel: Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Autoren: Tamara Ramsay
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Hof.
    Sie trat auf die Straße hinaus und
schaute durch das Tor noch einmal zurück auf das Wohnhaus im Hintergrund, auf
den Stall und den Schuppen zu beiden Seiten und auf das Torhaus mit der Scheune
und der Dreschtenne, das den Hof auf der Straßenseite abschloß. Lange blickte
sie durch das mächtige offene Tor, und sie meinte, daß sie bis jetzt noch
niemals gewußt hätte, welch eine Burg des Friedens ihr Heimathof war.
    »Leb wohl, Mutter«, sagte sie leise,
und die Tränen stiegen ihr in die Augen. »Niemals sollst du durch mich von
meiner Verwandlung erfahren — bis ich von der Rennefarre erlöst sein werde.«
     
     
     

Im Walde
     
    Wenn die Dorfgemeinde auszog, um ein
verirrtes Kind oder einen vermißten Fremden zu suchen, so wandte sie sich in
die Gegend der Seen und Luche. Darum wählte Dott die entgegengesetzte Richtung.
Sie schritt schnell dem Dammrower Forst zu.
    »Was soll ich nun tun?« fragte sie
sich. »Bin ich denn wirklich zum Schrecken der Menschen geworden?«
    Das konnte die Kleine nicht leugnen.
Sie brauchte nur an die Johannisnacht zu denken! Dott hatte die Bauern ihres
Dorfes immer für klug und stark gehalten. Am Feuer aber waren sie vor ihr
davongelaufen wie vor einem Gespenst, und dabei war ihr doch nur die Blüte der
Rennefarre in den Schuh gefallen!
    Die Mutter hatte recht. Unsichtbar
unter den Menschen zu leben, das ging wirklich nicht an. »Wenn ich spreche, und
es ist niemand zu sehen! Oder die Tür geht auf, aber es kommt niemand herein!«
    Es war der Kleinen zum Lachen und
Weinen zumute. Aber wenn sie nicht mehr unter den Menschen leben konnte, was
dann?
    »Ich weiß, was ich tu. Ich werde
einfach ganz allein durch das Land wandern, bis ich von der Rennefarre erlöst
werde. Zum Essen werde ich schon etwas finden. Im Wald gibt’s genug Beeren und
Pilze. Ich darf nur keine Angst haben, dann wird schon alles gut gehen!«
    Nein, Angst wollte Dott nun nicht mehr
haben. Sie machte sich darum sogleich daran, die Stellen im Dammrower Forst
aufzusuchen, wo sie mit Gerd nach wilden Erdbeeren gesucht hatte. Als sie aber immer
tiefer in den Wald hineingedrungen war, da hörte sie ein aufgeregtes
Durcheinander von Vogelstimmen. Neugierig schlich sie weiter, bis sie ganz nahe
herangekommen war. Dott hatte gar nicht gewußt, daß es so viele schöne und
stolze Vögel in der Mark gab. Im Gras unten waren die großen Vögel der Heide
und Moore: Kraniche, Fischreiher, Fasanen und viele, viele andere. Und in den
Bäumen darüber die großen Waldvögel und die kleinen Singvögel und friedlich
neben ihnen die Raubvögel. Und tief im Schatten unter ihnen die Eulen mit
Buhuho, dem Auf, dem mächtigen, aufgeplusterten Uhu in ihrer Mitte.
    Als sich Dott ein wenig von ihrem
Erstaunen erholt hatte, kam es ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß sie die
Sprache der Vögel verstehen konnte.
    »Hört, ihr freien Völker der Luft und
des Wassers!« verstand sie. Es war ein großer weißer Vogel mit ernstem Gesicht
und langem rotem Schnabel, der von einer kleinen Erhöhung aus zu den Vögeln
sprach.
    »Der Storch!« dachte Dott. »Wie
komisch! Aber ich muß noch näher herankriechen!«
    »Ob ihr es begreift oder nicht«, fuhr
der Storch fort. »Der Mensch ist das mächtigste Geschöpf auf der Erde! Wenn er
Gesetze erlassen will, dann erläßt er sie, und wenn er sie ändern will, dann
ändert er sie. Gebt darum gut acht, ihr Jungen! Denn was heute eure Brüder
trifft, das trifft morgen euch! — Cornix soll sprechen!« schloß er.
    »Ein einziger Gutsherr schoß in diesem
Jahre fünfhundert Angehörige unseres Stammes ab«, krächzte eine struppige alte
Krähe.
    Dott wußte damals noch nicht, daß dies
Cornix, der kühne und gefürchtete Anführer der Nebelkrähen war.
    »Jahrhundertelang war das Dommühlenholz
bei Havelberg unser Horstgebiet«, fuhr er fort. »Jetzt sind wir nicht nur
schußfrei, nein, es gilt sogar als ein besonderes Verdienst, uns zu Hunderten
niederzuknallen! Ja, der Mensch läßt sich sogar so weit herab, die unerfahrenen
Jungen unseres Stammes durch — einen Lockvogel in seine Schußnähe zu bringen!«
    Den letzten Satz hatte Cornix mit
schiefgeneigtem Kopf und spöttisch blinzelnden Augen gesprochen.
    Aller Augen wandten sich dahin, wo eng
zusammengerückt der Stamm der Eulen hockte. Regungslos und mit geschlossenen
Augen saß Buhuho, der Uhu, da unter den vielen Blicken.
    Mit einem pfeifenden Zischen wandten
sich plötzlich alle Vögel gegen Cornix, den Fürsten der Nebelkrähen. Es
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