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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter
Autoren: Die fremde Frau
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    Monate, nachdem sich alles zugetragen hatte und meine Ehe wieder zu dem friedlichen, vertrackten Krieg geworden war, wie ihn alle Ehen darstellen, wurde mir klar, dass wir alle Amerikaner waren, auch wenn dies ein Sachverhalt war, dem wir, bis zu einem gewissen Ausmaß, alle hatten entfliehen wollen. Ich verließ das Land, um einen neuen Zweig meines Unternehmens aufzubauen – ich bin Fabrikant, im kleinen Rahmen, und der europäische Markt schien verlockend, ein Hain reifer Früchte – und der Entwicklung meiner Persönlic h keit eine neue Richtung zu geben, da ich Jahr für Jahr meinen Freunden ähnlicher zu werden schien. (Zumindest jedenfalls glaubte ich, deswegen zu handeln; aber wie viele von uns kö n nen behaupten, die Wurzeln unseres Verhaltens zu verstehen?) In den letzten Jahren in Amerika war mir immer mehr zumute, als wäre ich in einer Kiste geboren worden, deren Dimensi o nen ich immer mehr selbst annahm. Nachdem das Unterne h men, das ich von meinem Vater geerbt hatte, die kleineren R e zessionen und Verluste des Glaubens der sechziger Jahre überwunden hatte, konnte ich mich selbst sehen, wie ich aus einer Million Swimmingpools emportauchte, Millionen M a dras-Jacketts anzog und die millionste ungeschickte Version des millionsten neuen Tanzes im millionsten Country Club versuchte. Und daher mein Flug nach Dublin, mein Umzug nach London und meine Affäre mit der Frau. Für meine Wahrnehmung war sie rein exotisch, ein Geschöpf, das so neu für mich war wie eine Samoanerin oder eine Eskimo – wen sonst kannte ich, der tatsächlic h b ei den Luftangriffen auf London dabei gewesen war? –, und dennoch war sie immerhin zur Hälfte Amerikanerin. Aber im Grunde genommen hätte sie halb Zebra sein können, und es hätte für mich nichts geändert. Wie sie, so glaubte auch ich nicht an die Liebe, und steckte dennoch bis über beide Ohren darin (wie mühelos diese W i dersprüche doch sind!), in einem Taumel der Gefühle. Ich fühlte mich bestätigt, unermesslich voll Gefühl: wir hatten e i ne gemeinsame Identität.
    Ich muss Ihnen die außergewöhnliche Vielfalt, die Energie ihrer Briefe begreiflich machen. Umfangreich, weiß, in langen, kühlen, weißen Couverts, und sie waren prall voll mit Erkl ä rungen, Beichten, Schuldgefühlen, Avancen und Rückziehern und all den anderen Untermalungen einer Affäre, und so lagen sie auf meinem langen Tisch neben der Lampe oder am Mo r gen auf dem rotmelierten Teppichboden. Sie verwirrten mich; manchmal ärgerten sie mich – weshalb soviel darüber nac h denken? – mit ihrem beharrlichen und heftigen Herumtra m peln auf immer wieder derselben Stelle; aber häufig, besonders zu Beginn, reizten sie mich mit einer unvernünftigen Freude: die Welt hatte mir ein Geschenk gemacht.
     
    Ich stand, in eine Unterhaltung vertieft, mit Mr. Donal O ’ Riordan vom Handelsministerium an der Ecke von Kildare und Molesworth Street in Dublin, als ich eine große, blonde Frau erblickte, die, ihr Haar ausschüttelnd, aus einem Antiqu i tätengeschäft kam. Mr. O ’ Riordan hatte ihr den Rücken zug e wandt, und ich heuchelte ungeteilte Aufmerksamkeit seinen Ausführungen gegenüber, während ich zusah, wie sie die gr o ße schwarze Tür eines Mercedes Benz öffnete und anmutig hinter das Steuer glitt, ein Monolith in schwarzem Gabardine, schwarzem Leder und blauer Schminke. Dies war das erste Auftauchen der Frau, eine Woche bevor wir uns während einer Dinner Party am Fitzwilliam Square begegneten, zwei Wochen bevor wir uns durch Zufall erneut sahen, dieses Mal an der Bar des Royal Hibernian Hotel, zwei Wochen und zwei Tage b e vor ich den ersten Brief erhielt.
     
    Jede Geste ist von einem Geheimnis begleitet. Das Tasten e i ner Hand zum Hinterkopf, der lange Zeigefinger, de r in der Höhle eines Luxusrestaurants auf den Filter einer Zigarette klopft, sie künden zweideutig von einer Hochzeit, einem Kuss , einem Streit . Die luxuriöse Nervosität des Fingers, der auf die gegen den Daumen gepresste schlanke weiße Säule klopft, ist geheimnisvoll verschleiert: sie könnte ängstlich sein, depr i miert, vielleicht sogar gelangweilt: Hinter diesem seltsam ve r schleierten Hauch lauert ein dunkleres Geheimnis, der Drang zum Ausdruck, welcher unserer Muskulatur innewohnt, we l cher, unaufgefordert, durch Taten vereinfachen möchte. Auf dem Flickwerk des diskontinuierlichen Lebens der Gefühle scheint dies eine einzige Farbe aufprägen zu wollen, eine R e solution. Über den
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