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Worldshaker

Worldshaker

Titel: Worldshaker
Autoren: Richard Harland
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Blitzschnell kam sie unter dem Bett hervorgeschossen und kniete sich neben die Bettkante. Ihre Nasenflügel blähten sich im Rhythmus des Atems. Unter den hohen Wangenknochen wirkten ihre Wangen eingefallen, ihr zotteliges Haar war blond und schwarz gescheckt. Was jedoch das Gesicht beherrschte, war der brennende Blick ihrer großen Augen.
    Col wich vor ihr zurück und fiel auf der anderen Seite aus dem Bett. Schließlich hatte er sich aus den Laken und Decken befreit und stand auf wackligen Beinen neben dem Bett.
    Sie öffnete den Mund: »Mach was, dass sie mich nicht kriegen. Bitte!«
    Das waren keine Grunzlaute, sondern richtige Worte! Wenn auch der Tonfall etwas grob und ungeschliffen war – es waren definitiv Worte!
    Col glotzte sie an. »Du kannst sprechen?«
    »Klar, was denkste denn?«
    »Ich dachte … ich wusste nicht, dass Dreckige sprechen können. Das Gesinde kann jedenfalls nicht sprechen.«
    »Ja, davon hab ich schon gehört.«
    »Wir erziehen Dreckige und machen Gesinde aus ihnen. Dann können sie die menschliche Sprache verstehen.«
    »Ab-erziehen trifft’s wohl eher. Vorher konnten sie nämlich beides: sprechen und verstehen.«
    Darauf wusste Col nichts zu sagen. Ihm schwirrte der Kopf, und er konnte keinen klaren Gedanken fassen.
    Plötzlich sprang sie auf. Sie schien nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen; von einem Gesindling hatte sie jedenfalls absolut nichts. Dunkel und dreckig war der Eindruck, den sie bei Col hinterließ: Ihre Hüften und ihr Rumpf waren in Lumpen gehüllt, die nackten Arme und Beine hatten etwas Schockierendes, ihre Haut war über und über mit Ruß- und Ölflecken bedeckt.
    » Mich haben sie nämlich von Unten heraufgeholt, um einen Gesindling aus mir zu machen.« Herausfordernd blickte sie ihn an. »Sie haben mich mit ihrem Schweinehaken herausgefischt und wollten mich zur Korrekturkammer verschleppen. Aber ich bin abgehauen.«
    Col schüttelte den Kopf. »Was meinst du mit Korrekturkammer?«
    »Na da, wo sie den Eingriff bei einem machen. Sie foltern uns und machen schreckliche Sachen mit uns.«
    »Unsinn, von solch einem Ort hab ich noch nie gehört. Woher willst du das überhaupt wissen?«
    Die Leute von den oberen Decks würden niemals schreckliche Sachen tun, da war sich Col sicher. Typisch Dreckige, die hatten doch keine Ahnung! Er hatte bei seinem Hauslehrer Ethik studiert. Daher wusste er, dass Folter gegen die Prinzipien der Moral verstieß. Er nahm eine würdige Haltung ein, so wie er es bei Erwachsenen gesehen hatte. »Du kannst von Glück sagen, dass du die Chance bekommen hast, Gesindling zu werden. Du bist zu jung, um zu wissen, was gut für dich ist.«
    »Ich bin nicht jung, ey. Ich bin vierzehn.«
    »Nun, und ich bin sechzehn.«
    »Ach nee, und dann weißte noch nich mal, was es mit der Korrekturkammer auf sich hat.«
    An die Vernunft einer Dreckigen zu appellieren, war völlig sinnlos.
    Er wandte sich zur Tür und rief: »Wache!«
    Wie ein geölter Blitz schoss sie durchs Zimmer. Er hatte sich Dreckige immer langsam und ungelenk vorgestellt. Aber auf diese hier traf das nicht zu. Sie öffnete die Tür einen Spalt, lugte hinaus und schloss sie rasch wieder.
    »Sie sind immer noch da«, murmelte sie.
    Er holte Luft, um lauter zu rufen.
    Sie flog wieder durchs Zimmer und stellte sich vor ihn, die Hände flehentlich gefaltet. »Bitte!« Stolz und Trotz waren von ihr abgefallen – es blieb das blanke Entsetzen. »Lass nicht zu, dass sie mich kriegen!«
    Schritte kamen den Gang herunter.
    »Ich hab Angst«, flüsterte sie und starrte zur Tür.
    In diesem Augenblick erinnerte er sich, wie ihm selbst vor einigen Minuten zumute gewesen war, als er die beiden bedrohlichen Gestalten in der Tür gesehen hatte, mit gezücktem Schlagstock, bereit, drauflos zu schlagen …
    Sie rannte zum Schrank – mit offenem Mund sah Col zu, wie sie hineinsprang und die Tür hinter sich zuzog.
    Jetzt waren die Schritte vor seiner Kabine – und gingen weiter. Wenn das die Wachleute gewesen waren, dann hatten sie ihn jedenfalls nicht rufen hören.
    Es kam ihm allerdings nicht in den Sinn, noch einmal zu rufen. Er war seltsam aufgewühlt, als ob sich die Angst der Dreckigen vor dem Wachdienst auf ihn übertragen hätte.
    Er trat vor die Schranktür: »Sie sind weg.«
    »Danke«, sagte eine dumpfe Stimme. »Danke.«
    Er wollte ihren Dank nicht; alles, was er wollte, war Zeit zum Nachdenken. Er drehte den Schlüssel um.
    »Ich schließe dich jetzt ein.«
    »Hey. Lass das!«
    Col
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