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Todesritual: Thriller (German Edition)

Todesritual: Thriller (German Edition)

Titel: Todesritual: Thriller (German Edition)
Autoren: Nick Stone
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Ausnahmslos jeden Morgen ließ sich Eldon Burns im Taxi von seinem Haus in Coconut Grove zu dem Boxstudio auf der 7th Avenue fahren, das ihm gehörte. Es lag in Liberty City, dem härtesten und schäbigsten Stadtteil Miamis – kein Ort für einen vernunftbegabten Mann seines Alters. Obwohl das Studio schon seit über acht Jahren nicht mehr als solches fungierte, wollte Eldon das Gebäude weder verkaufen noch verpachten, weil er sich nur dort, in diesen vier Wänden, noch ein klein wenig so fühlen konnte wie früher. Dort hielt er Zwiesprache mit seinen Erinnerungen, lächelte den Geistern vergangener Erfolge zu und gedachte der Zeiten, in denen im Grunde er, als stellvertretender Polizeipräsident, die Geschicke dieser Stadt gelenkt hatte.
    Drinnen herrschte der Verfall. Tag für Tag wurde es ein bisschen schlimmer. Der Betonfußboden, den einst komplizierte Schaubilder aus nummerierten Füßen zierten, lag unter einer dicken Staubschicht begraben, die an verfaultes Manna erinnerte. Und sie wurde immer dicker. Dichter Dunst aus feinem Staub hing in der Luft und raubte den breiten Sonnenstrahlen, die durch die Fenster fielen, die Kraft. Die schweren Boxsäcke hingen starr an roststeifen Ketten und Halterungen. In der Mitte der riesige Boxring – früher der größte seiner Art in ganz Florida –, ein unansehnlicher Haufen aus modrigem Eichenholz und verschimmeltem Segeltuch. Er war zusammengebrochen, nachdem sich ein nicht behobenes Loch im Dach bei einem Gewitter zu einem Wasserfall geöffnet hatte. Das Segeltuch war komplett durchnässt worden und die Feuchtigkeit ins Holz eingedrungen. Zeit, Hitze und Vernachlässigung hatten den Ring schließlich in sich zusammensacken lassen wie einen erschöpften Boxer, ein Bein nach dem anderen. Inzwischen beherbergte er eine Kolonie großer brauner Ratten, deren Fiepen und Trippeln die Geräusche des Boxstudios ersetzt hatten – zusammen mit dem hartnäckigen Summen Tausender Insekten, die durch das immer größer werdende Loch im Dach hereinkamen. Manchmal flogen auch Papageien, Möwen und sogar Pelikane herein, fanden aber nur selten wieder hinaus; was die Ratten von ihnen übrig ließen, verstärkte noch den aggressiven Fäulnisgestank.
    Die Ratten hatten keine Angst vor Eldon. Sie hatten sich an seine täglichen Besuche gewöhnt, an diesen vierundachtzigjährigen Mann, der jeden Tag den gleichen Weg durch den Staub nahm, mit langsamen Schritten und gesenktem Kopf, weil er ihn nicht mehr so hoch tragen konnte wie früher. Sie spähten mit glänzenden Augen unter dem Segeltuch hervor zu ihm hinauf, als fragten sie sich, ob dies der Tag war, an dem es ihm ergehen würde wie den verirrten Vögeln.
    Eldon schenkte ihnen genauso wenig Beachtung wie den Überresten seines Boxstudios. Er verschwand in seinem Büro, das hinter der Tür in der Mitte der verspiegelten Wand zur Rechten lag. Es waren Einwegspiegel, genau wie in den Verhörzimmern der Polizei.
    Er ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und schaute hinaus in den Trainingsraum. Er sah ihn nicht so, wie er war, sondern wie er damals gewesen war, in den guten alten Zeiten, in seinen Zeiten: ein Dutzend Boxer aller Altersstufen am Springseil, beim Sparring, am Speedbag, beim Schattenboxen vor dem Spiegel, sich seiner Gegenwart ebenso wenig bewusst wie damals. Er hörte das Krachen ihrer Fäuste gegen die Boxsäcke, das gleichförmige Trappeln der Füße beim Seilspringen; er hörte den Drei-Minuten-Summer und wie Abe Watson – der Cheftrainer, Manager und Mitinhaber des Studios – die beiden zukünftigen Boxgrößen aus dem Ring rief. Er beobachtete seinen alten Freund mit der roten Kangol-Kappe, wie er, springlebendig, den beiden Anfängern, die er unter seine Fittiche genommen hatte, Ratschläge gab.
    Eldon Burns war so sehr mit den Geräuschen und Bildern in seinem Kopf beschäftigt, dass er das leise Quietschen der Studiotür nicht hörte und auch nicht die Person sah, die eintrat.
    Eldons Absturz war schnell und hart gewesen.
    Zuerst hatte ihm seine Frau Lexi am Vorabend ihres fünfzigsten Hochzeitstags eröffnet, dass sie sich scheiden lassen wolle. Sie habe die Alkoholsucht besiegt, in die Eldon sie mit seiner Unaufmerksamkeit und seinen Affären getrieben habe, und wolle nun auch das andere Übel ihres Lebens loswerden. So zumindest hatte sie es gesagt. In Wahrheit hatten sie sich auseinandergelebt, seit ihre jüngste Tochter Leanne und ihr Adoptivsohn Frankie Lafayette-Burns – ein haitianisches Boxwunder,
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