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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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1
Sepp Trautweins Tag beginnt
    Als er aber vorsichtig Papier und Bleistift aus der Schublade kramte, um sich das Motiv aufzuschreiben, das ihm eingefallen war, fegte er ein Buch von dem gebrechlichen, überladenen Schreibtisch. Kreuztürken, jetzt ist Anna bestimmt aufgewacht. Da kommt schon ihre Stimme aus dem Bett: »Wie spät ist es denn?«
    »Sechs Uhr siebenundzwanzig«, meldet er reumütig und korrekt. Anna indes zeigt keinen Unmut, daß er sie so früh geweckt hat. Sie konstatiert nur sachlich, einschlafen werde sie doch kaum wieder, es sei wohl am besten, sie frühstückten mit dem Jungen zusammen.
    Josef Trautwein also schreibt, leise zwischen den Zähnen vor sich hin pfeifend, schnell, nicht unvergnügt, seine paar Takte auf. Dann geht er zurück ins Bett. Schön ist er nicht, wie er sich so durchs Zimmer tappt; sein knochiges Gesicht mit den tiefliegenden Augen unter den starken, schon ergrauten Brauen ist schmutzig überstoppelt, das eine Bein seines Schlafanzugs ist hochgerutscht und läßt die dünne, schwärzlichgrau behaarte Wade sehen. Allein so deutlich Anna die Schäbigkeit des tristen Hotelzimmers und seiner Einrichtung erkennt, so wenig nimmt sie wahr, daß Josef Trautwein, ihr Sepp, hier in Paris, im elenden Leben der Emigration, nicht mehr der stattliche Mann ist wie in München, wo ihm alle Sympathien zugeflogen waren. Für Anna hat er sich nicht verändert. Für sie ist er heute, der abgedankte Musikprofessor mit seinen Sechsundvierzig, immer noch so strahlend jung wie damals, als er ihr zuerst begegnete, schön, männlich, voll Kraft und Humor und jedes Erfolges gewiß. Eigentlich ist sie froh, daß seine Ungeschicklichkeit sie aufgeweckt hat; so hatsie ihn eine halbe Stunde für sich, bis der Junge, bevor er in sein Lyzeum muß, mit ihm frühstückt.
    Während der beginnende Tag die vollgestopfte Armseligkeit des Zimmers immer klarer hervortreten läßt, kriecht Josef Trautwein zurück ins Bett, wohlig grunzend. Anna nutzt die Gelegenheit, mit ihm über die Pläne ihres heutigen Tages zu reden. Sie hat Dr. Wohlgemuth gebeten, sie pünktlich um zwölf Uhr fortzulassen, sie will wieder einmal zu Monsieur Pereyro gehen, damit der die Sache beim Rundfunk etwas vorwärtstreibt. Eigentlich ist es gemein, wie lange man hingezogen wird. Jetzt ist es schon zwei Monate her, daß die Rundfunkleute Monsieur Pereyro versprochen haben, Sepp Trautweins Oratorium »Die Perser« aufzuführen. Klar, daß es eine Weile dauert, ehe man, gerade im Fall eines deutschen Emigranten, die bürokratischen Widerstände überwindet; aber bei einigem gutem Willen müßte es nach so langen Vorbereitungen endlich klappen.
    Josef Trautwein hört nicht sehr interessiert zu. Es tut ihm leid, daß Anna, die sich ohnedies überarbeitet, so viel Mühe an diese Rundfunkaufführung wendet. Ihm selber liegt wenig daran. Er liebt den Rundfunk nicht, Rundfunk ist Ersatz, alles kommt verzerrt. Und die Hörer werden ja doch nichts von seinem Oratorium »Die Perser« verstehen, die Masse hat für so was noch kein Ohr; die Rundfunkleute haben ganz recht, wenn sie zögern. Außerdem ist, findet er, das Oratorium eigentlich gar nicht fertig; es hat noch gute Weile, bis er es ins letzte überfeilt haben wird. Ihm ist es recht so, ihm eilt es nicht, er hat Freude an der Arbeit. Im Grunde denkt er schon mit Bedauern an die Zeit, da er nichts mehr daran zu tun haben wird.
    Während sie weiterspricht, geht ihm wieder das Motiv durch den Kopf, das er vorhin gefunden hat, jene paar Takte, die das gräßliche Wehegeschrei der zurückkehrenden, geschlagenen Perser wiedergeben. Gleichzeitig aber hört er auf Annas Stimme. Es ist eine ruhige, angenehme Stimme, er liebt sie sehr. Weniger interessiert ihn, was diese Stimme spricht.Arme Anna. Sicher möchte sie lieber über seine Musik mit ihm reden; in Deutschland hat sie das ganz ausgefüllt. Sie weiß natürlich genausogut wie er selber, daß Rundfunk nur Ersatz ist. Aber sie hat einfach keine Zeit, mit ihm über die Dinge zu sprechen, die ihr im Innern ebenso wesentlich sind wie ihm. Die ganzen Sorgen des kleinen Alltags liegen auf ihr; es ist kein Wunder, wenn ihr davon der Mund übergeht. Dabei bleibt es ein Monolog, er versteht nichts von diesen Sachen. Übrigens, so verwickelt die kleinen Dinge ausschauen, am Ende, wenn man nur lange genug wartet, erledigen sie sich von selber. Schön, er hat in Paris keinen Namen und nicht viele Möglichkeiten, man ist ein wenig knapp, und es ist scheußlich,
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