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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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müssen, ihn dahin zu bringen, daß er es täglich vornimmt. Auch heute stöhnt er. Optimist und Sanguiniker, der er ist, hat er natürlich wieder die bequemen Flächen der Wangen zuerst hergenommen. Jetzt bleibt ihm das Schwierigste, das Gewinkel des Mundes; da muß man die Kiefer verzerren, den Kopf verrenken und Vorsicht walten lassen. »Gelump, damisches«, schimpft er auf das Rasierzeug, weil es ohne kleine Verwundung nicht abgeht. Aber dann, während er das Gesicht trocknet, freut er sich bereits wieder auf die Arbeit, die vor ihm liegt. »Es geht mir schon hinaus«, berichtet er vergnügt vom Badezimmer her. »Die Idee, die mir für ›Die Perser‹ gekommen ist, stürzt mir fünfzehn Seiten Partitur um. Aber das Wichtigste kann ich unter Dach bringen, noch solang es frisch ist, bevor ich auf die Redaktion muß. Den Artikel diktier ich dann dort. Er geht schon noch rechtzeitig in Satz.«
    Anna hört zu, sie ist stolz darauf, daß er so gewissenhaft arbeitet, daß er nicht die leiseste Schlamperei durchgehen läßt und immer von neuem beginnt, wenn er nur die geringste Aussicht sieht, seinem Ziel um ein winziges näher zu kommen. Gleichzeitig aber ist ihr die äußere Hoffnungslosigkeit seines Unternehmens bewußt. Kein Mensch wird sich darum kümmern, ob die fünfzehn Seiten Partitur besser werden oder schlechter, und wenn die Rundfunkaufführung nicht zustande kommt, dann werden außer ihr überhaupt nur drei oder vier Menschen die paar Seiten zu sehen kriegen. Es ist schon ein verdammtes Pech, daß dieser begabte Mann, ihr Sepp, dazu verurteilt bleibt, für die Katz zu arbeiten. Auch der Artikel über die Physiognomien, den er da für die »Nachrichten« schreiben wird, er wird ihm sicher gelingen, es wird sicher ein sehr grimmiger und lustiger Artikel werden, wert, daß die ganze Welt ihn zu sehen kriegt, aber, ach Gott, so wie die Dinge jetzt liegen, werden zwei- oder dreitausend Leser eine flüchtige halbe Minute daran Freude haben, daß man es dem Lumpengesindel in Berlin gibt, und das wird alles sein. ObSepp sich das eigentlich einmal ganz klarmacht? Und wenn, dann ficht es ihn nicht an. Er strahlt. Er arbeitet, als würden »Die Perser« noch heuer von den Philharmonikern gespielt und als erschiene sein Artikel zumindest in den »Times«.
    Da kommt er aus dem Badezimmer heraus. Er hat jetzt einen Schlafrock an, der weit und lang an dem hagern, großen Mann herunterhängt und ihm gut steht. Vorzeiten war dieser Schlafrock elegant, jetzt ist er abgetragen. Sepp müßte längst einen neuen haben, denkt Anna, doch schon als noch Geld da war, konnte man ihn nur mit Mühe dazu bewegen, sich anständig anzuziehen; jetzt ist ihm die Geldlosigkeit ein willkommener Vorwand, seine Kleidung zu vernachlässigen.
    Er setzt sich in den alten, ramponierten Wachstuchsessel, behaglich, macht sich wieder über seine Zeitungen her, die Beine weit von sich gestreckt. Sie schaut ihm zu. Zehn Minuten kann sie noch liegen bleiben, dann beginnt ihr Tag, ein Tag voll Gehetz und Anstrengung. Die zehn Minuten wird sie noch auskosten. Sie dehnt sich, genießt wohlig die Wärme des Bettes, schweigend. Ja, wenn man an andere denkt, dann geht es einem noch relativ gut. Was zum Beispiel würde ihre Freundin Elli Fränkel darum geben, wenn sie hier so im Bett liegen könnte, bequem, auf Wochen hinaus gesichert. In Berlin, vor dem Zusammenbruch, hat man Elli maßlos verwöhnt, hier in Paris muß sie sich abzappeln, um nicht zu verhungern. Was für armselige, vergebliche Mühe hat sie sich gemacht, ihre Stellung bei Hirschbergs zu kaschieren; es hat trotzdem jeder gewußt, daß sie dort nichts anderes war als Dienstmädchen. Und jetzt wäre sie froh, wenn sie es noch wäre. Sie muß nächstens einmal wieder mit Elli zusammenkommen.
    Sepp Trautwein mittlerweile liest seine Zeitungen, hingegeben, die langen Lippen verpreßt, so daß der zusammengekniffene Mund bemüht und ein bißchen komisch aussieht. Hemmungslos zeigt er seine schnell wechselnden Empfindungen. Bald knurrt er, stößt kleine, grimmige Laute aus, dann schüttelt er den Kopf: »Diese Trottel, diese damischen«, dann wieder nickt er und anerkennt voll Überzeugung: »Großartig.«Einmal, plötzlich, unterbricht er sich, ein Strahlen geht über sein Gesicht, mit steifem, unbeholfenem Schritt läuft er zum Schreibtisch, und unter Gepfeife, mit dem Kopf heftig Takt schlagend, notiert er sich eine Idee, die ihm gerade eingefallen ist.
    Anna, seufzend, steht auf. Macht sich
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