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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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Dritte Reich erneuert sie nicht. Wieviel Laufereien, um irgendein Papier zu kriegen, auf dem bestätigt und bestempelt wird, wer man ist. Wie lange muß man anstehen vor Schaltern mit mürrischen,überarbeiteten Beamten, wie wird man von Monsieur Dupont zu Monsieur Durand geschickt, und Monsieur Durand weiß dann nichts und schickt einen zurück zu Monsieur Dupont, und dann geht die ganze Geschichte von vorne an, und schließlich liegt überhaupt das Dossier auf einem andern Amt. Reguläre Arbeitserlaubnis zu kriegen scheint vollends unmöglich; bei ihrem Zahnarzt Wohlgemuth arbeitet sie schwarz, ohne Erlaubnis.
    Solange man in Deutschland war, hat man gar nicht gewußt, wie gut man es hatte in dem bequemen Haus und mit dem schönen Bankkonto. Anna war gewohnt, Abstraktes, Philosophisches auf einfache Formeln zu bringen, und der Pessimismus der Inder oder Schopenhauers, mit dem sich Sepp lang herumgeschlagen und von dem er ihr viel vorerzählt hatte, schrumpfte ihr ein zu der praktischen Erkenntnis, daß man, wenn man einen wehen Finger hat, Unlust darüber empfindet, aber keine Lust darüber, wenn einem der Finger nicht weh tut. Dieser unsentimentale Pessimismus wird ihr jetzt durch die Ereignisse bestätigt. In Deutschland hat sie es für selbstverständlich gehalten, daß man reich und angenehm lebt. Jetzt lamentiert sie nicht, daß es nicht so ist, aber sie spürt es auf Schritt und Tritt.
    Es kratzt und scharrt an der Tür, durch den Spalt schiebt man die Post ins Zimmer. Trautwein stürzt sich sofort darauf, öffnet sie, liest sie mit vielen Hms und Ahas. Es ist ziemlich reichliche Post, aber Anna weiß, es ist wenig darunter, was Sepp persönlich anginge, das meiste werden Einladungen sein zu politischen Versammlungen, Bettelbriefe, Bitten um Empfehlungen, Anliegen von Emigranten. Denn so schlecht es einem geht, immer noch sind viele da, die halten einen für reich und glücklich.
    Er vertieft sich; daß sie da ist, hat er völlig vergessen. Nachdem er die Briefe zu Ende gelesen, macht er sich an die Zeitungen. Morgen um Morgen erbittert und amüsiert den leidenschaftlichen Mann die Dummheit der Welt, wie sie ihm aus den Zeitungsberichten entgegenspringt. Da hat er wiederetwas gefunden. Er schnalzt mit der Zunge. »Das mußt du dir anschauen, Anna«, triumphiert er mit seiner hellen Stimme, fast krähend vor Freude. »Höher geht’s nimmer«, und er reicht ihr die »Berliner Illustrierte«, hinweisend auf das Photo der Titelseite. Da sieht man die führenden Männer des Reichs, wie sie einem Konzert lauschen, verloren an die Musik, die Gesichter leer, dümmlich, sentimental. Es ist ein großartiges Photo, es zeigt die Seele dieser Männer; die Musik hat sie umgestülpt, ihr ganzes, armseliges Innen ist jetzt nach außen gekehrt. Anna muß lachen, kindlich, herzhaft. Ihr breites Antlitz mit den großen, weißen Zähnen strahlt, wenn sie lacht; sie wird ganz jung. »Ihre Titel können sie ändern«, meint sie, »aber ihre Gesichter bleiben halt immer die gleichen.« Sepp Trautwein freut sich weiter: »Sie können’s nicht lassen, immer wieder müssen sie selber ihre Schande groß plakatieren. Das muß man verbreiten, darüber muß man schreiben. Darüber werde ich schreiben«, beschließt er, jünglingshaft, ganz Eifer und Tatkraft. »Wie ist das?« will er sich sogleich ans Werk machen. »Hast du heute Zeit? Kann ich dir einen Artikel diktieren?« Das ist der echte Sepp. Er hat wieder einmal vergessen, daß sie leider bei Doktor Wohlgemuth beschäftigt ist. Den Besuch bei Pereyros muß sie auch machen, die Rundfunksache ist wahrhaftig wichtig. »Es wäre fein«, bedauert sie, »wenn ich dir den Artikel tippen könnte. Da würden wir uns einmal wieder herumraufen, bis ich dir das Allergröbste abgeräumt habe. Aber Wohlgemuth, die Pereyros«, sie zuckt die Achseln. Ihr lebendiges Gesicht zeigt, wie leid es ihr tut. Er bereut sogleich, stürmisch: »Natürlich, du hast ja heute deine Pereyros. Es ist eine Schande, daß ich das vergessen habe.« Doch im nächsten Augenblick schon ist er darüber hinweg. »Es wird ein feiner Artikel«, freut er sich.
    Anna beschaut kritisch die Schreibmaschine. Die Walze ist abgewetzt und müßte erneuert werden, auch sonst fehlt mancherlei. Das kostet Geld, und man wird die Maschine mehrere Tage entbehren müssen.
    Er mittlerweile ist aufgestanden und ins Badezimmer gegangen,um sich zu waschen und zu rasieren. Das Rasieren liebt er nicht. Anna hat viel Mühe daran wenden
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