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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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daran, die beiden Stuben in Ordnung zu bringen. Geht dann in das kleine, enge Badezimmer; es muß auch als Küche dienen, das ist unbequem und unappetitlich, aber es läßt sich nicht vermeiden. Sie schminkt und pudert sich, schweigend, sorgfältig. Der Spiegel gibt ihr Gesicht trüb und ungenau wieder, er hat schlechtes Licht, aber so viel sieht sie, daß ihre Züge verwaschen sind und ihre Augen stumpf. Wenn sie Herr Pereyro wäre, ihr würde diese Anna nicht gefallen. Man weiß freilich nie, worauf ein Mann reagiert. Wenn sie guter Laune ist, wenn sie lacht und ihre schönen, großen, weißen Zähne zeigt, dann wirkt sie noch recht jung.
    Sie ist fertig, zieht den Mantel an. Stattlich steht sie da, ein bißchen füllig, doch frisch und damenhaft; es bedarf eines geübten Frauenblickes, um zu erkennen, mit wieviel Mühen die schäbigen Stellen ihres Pelzes verdeckt sind. »Man muß rechtzeitig Notenmaterial beschaffen«, sagt sie, »für den Fall, daß die Radioaufführung zustande kommt. Sonst scheitert es zuletzt an so einer Kleinigkeit.« Er taucht aus seinen Betrachtungen hoch, murmelt etwas wie: »Hm« und: »Ja, wie du meinst«. Sie indes besteht, sie wiederholt, und: »Das wird ziemlich teuer sein«, fügt sie sachlich hinzu. »Ich werde es mir überlegen«, erwidert er, schwunglos, ziemlich mürrisch. Sie aber entscheidet sich, resolut: »Ich werde lieber mit Monsieur Pereyro sprechen. Für den ist es eine Kleinigkeit.« Das hört nun er nicht gern. »Steht denn das Ganze dafür?« meint er zögernd. Und: »Ja«, schließt sie entschieden.
    Sie wendet sich, zu gehen. Er sieht hoch, und jetzt erst sieht er sie richtig. »Großartig schaust du aus«, lobt er, voll ehrlicher Bewunderung. »Wie du das nur immer fertigbringst. Racker dich nicht zu sehr ab, Alte«, empfehlt er ihr noch,herzlich, freundschaftliche Besorgtheit über dem hagern Gesicht. »Alte« nennt er sie, betont bayerischen Dialekt spricht er, so daß es wie eine vertraute Liebkosung klingt, und lächelnd fügt er hinzu: »Ich sollte es ja nicht, aber ich muß es doch sagen: wenn’s nichts wird aus dem blöden Rundfunk, dann halte ich das auch nicht für einen Mißerfolg. Also adieu, Alte, und gute Verrichtung. Und grüße Pereyros, aber nur, wenn er definitiv ja sagt.«
    Nachdem sie gegangen ist, wird ihm sehr gemütlich. Er hängt an ihr. Wenn sie nicht da ist, vermißt er sie schnell; ihm wird warm, wenn er daran denkt, wie oft sie sich in guten und bösen Zeiten bewährt hat, und an die zahllosen Stunden gemeinsamer Arbeit und gemeinsamer Lust. Aber da man halt zu dritt bloß die beiden Zimmer hat und Tag und Nacht aufeinanderhockt, ist es eine schöne Sache, einmal allein zu sein. Er läuft hin und her, das heißt, laufen kann man nicht in dem überfüllten Zimmer, er windet sich durch. Er ist ganz in sich eingesponnen, die Geräusche von nebenan, von der Straße stören ihn nicht.
    Es ist ein gesegneter Vormittag, er hat zwei lange Stunden allein vor sich. Es ist keine Verschwendung, wenn er sich’s leistet, ein bißchen vor sich hin zu spinnen. Er braucht das von Zeit zu Zeit, es ist förderlich, ohne das kann man nicht existieren.
    Er setzt sich wieder in den ausgesessenen Wachstuchsessel, in unbequemer Haltung, aber ihm ist sie bequem. Leise tickt die Wanduhr, die schöne, aus Deutschland gerettete, die Zeit läuft ab, und er meditiert. Man muß manchmal innerlich Inventur aufnehmen. Nicht pedantisch natürlich, beileibe nicht, nicht mit formulierten Worten. Dennoch hat er so etwas wie einen Maßstab: er sucht sich Rechenschaft abzulegen, ob er in diesen zwei Jahren Exil künstlerisch weitergekommen ist.
    Anna behauptet manchmal, es sehe aus, als ob »Die Perser« heute noch unfertiger wären als vor zwei Jahren, und in gewissem Sinn hat sie recht. Trotzdem ist er weitergekommen.Er ist sich selber gegenüber noch strenger geworden, fast so streng wie Anna; er arbeitet noch langsamer, aber besser, richtiger. Und er darf sich auch bei ehrlichster Selbsterforschung sagen, daß er nicht im leisesten nach der Wirkung schielt, daß er nicht um des Erfolges willen Musik macht, sondern nur um des Werkes willen.
    Er lächelt über Anna, ihre Betriebsamkeit, ihre eifrige Bemühung um den Rundfunk. Sie weiß doch, wie wenig bei einer solchen Aufführung herauskommen kann. Was er will, ist selbst aus einem guten Orchester nur mit vielen Proben herauszuholen. Wie soll er es aus widerwilligen Musikern herauskriegen mit wenigen, hastigen Proben? Und
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