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Worldshaker

Worldshaker

Titel: Worldshaker
Autoren: Richard Harland
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umgeben.«
    »Aber den Himmel habe ich gesehen. Und einen richtigen Tag und eine richtige Nacht. Und die richtige Sonne.«
    »Das ist nichts im Vergleich zu dem, was du von der Brücke aus sehen wirst.« Gedankenverloren strich sich Orris übers Kinn. »Komm, ich zeig’s dir.«
    Er bog plötzlich in einen Seitengang ein und kam zu einer Wand, an der ein Ölgemälde hing, das ihren Juggernaut zeigte. Solche Gemälde hatte Col schon gesehen. De facto bezog er seine eigene Vorstellung davon, wie der Worldshaker wohl von außen betrachtet aussehen könnte, von eben solchen Bildern. Nur wirkte der Juggernaut auf den Gemälden immer irgendwie verschwommen und im Hintergrund sah man meist nur einige Wolken oder flitternden Dunst, die blendende Sonne oder zuckende Blitze.
    Dieser Juggernaut dagegen war deutlicher gemalt. Worldshaker im Mondlicht hieß das Bild. Hier erhob sich der Juggernaut Deck für Deck, wie ein Gebirge, das die Sterne verdeckt.
    »Ach, diese Größe!«, seufzte Col.
    »Zweieinhalb Meilen lang und eine Dreiviertelmeile breit. Nach wie vor das größte Bauwerk von Menschenhand auf dem Antlitz der Erde. Und das ist die Brücke. Da oben.«
    Orris zeigte auf einen hellen Fleck am oberen Teil der schwarzen Silhouette. Die Brücke saß am bugseitigen Rand eines Vorsprungs, der sich steil vom darunterliegenden Deck in den Himmel erhob.
    »Das ist jetzt sechsundzwanzig Jahre her«, fuhr Orris fort, wie im Selbstgespräch, »da habe ich von dort oben nach Draußen geblickt–«
    Er räusperte sich. »Und das da unten ist das Gartendeck.«
    Dabei zeigte er auf eine Stelle am unteren Rand des Überbaus, am Vorderteil des Juggernaut gelegen.
    »Und Unten?«, fragte Col. »Wo ist das?«
    Mit dem Finger zeichnete Orris eine ungefähre Linie über die ganze Länge der Silhouette. »Der untere Abschnitt des Rumpfes. Ich … nun –« Er verstummte.
    Col betrachtete das Gemälde, fand aber keine sichtbare Trennlinie an der schwarzen Seite des Juggernaut. Dann bemerkte er etwas anderes.
    »Was ist das?« Dabei zeigte er auf einen Schemen im Hintergrund. »Ein anderer Juggernaut?«
    » Friedrich der Große. Der preußische … Juggernaut. Da über… überholen wir ihn gerade.«
    Das Sprechen schien Orris Mühe zu machen. Col drehte sich um und sah, dass sein Vater mit den Tränen kämpfte. Plötzlich begriff er.
    »Du hast vor sechsundzwanzig Jahren von der Brücke nach draußen geguckt?«
    Orris nickte. »Ich war vierzehn Jahre alt.«
    »Und Großvater hat dir den Juggernaut gezeigt, von der Brücke bis zum Orlopdeck? Genau wie mir?«
    Wieder ein Nicken. »Ich sollte sein Nachfolger werden. Bis ich versagte.«
    Aber natürlich, es lag ja auf der Hand. Dass Col das nicht eher gemerkt hatte! Wenn es um seinen Nachfolger ging, hätte Sir Mormus’ Sohn die erste Wahl sein müssen, nicht sein Enkel.
    »Wobei hast du denn versagt?«, fragte er. Und um zu zeigen, dass es ihm nicht an Ehrerbietung mangelte, ging er zum respektvollen Sie über: »Können Sie es mir sagen, Sir?«
    Orris schüttelte den Kopf. »Das wäre unangebracht, Colbert. Komm jetzt. Du willst deinen Großvater doch wohl nicht warten lassen.«
    Das Wort unangebracht war Col nur allzu vertraut; es setzte jeglicher Diskussion ein Ende. Sie stiegen weiter hinauf. Auf Deck 52 blieb Orris ganz plötzlich stehen.
    »Doch, ich werde es dir erzählen.« Er wandte sich zu Col. »Damit du bereit bist.«
    Dann schwieg er wieder, und als er schließlich zu sprechen begann, war seine Stimme zu einem Flüstern herabgesunken. »Herzensschwäche ist mir zum Verhängnis geworden, Colbert. Eine Schwäche meines Herzens, von der niemand etwas geahnt hatte. Nicht einmal ich selbst. Aber als ich hinabblickte nach Unten und sie sah –«
    »Sie meinen die Dreckigen, Sir?«
    »Ja, ja. Jetzt können wir offen darüber sprechen, wo du im Begriff bist, die Kindheit hinter dir zu lassen. Du wirst dich vielen harten Tatsachen stellen müssen, die wir den Frauen und Kindern gegenüber nicht erwähnen. Du wirst Dinge sehen, die du dir niemals vorgestellt hast.«
    »Sind Sie zu ihnen hinab gestiegen?« Col erschauderte bei der Vorstellung.
    »Nein, nein. Es gibt Aussichtsplattformen, von denen aus man nach Unten sehen kann. Irgendwann wird dich Sir Mormus dahin mitnehmen. Nicht zu nahe dran. Aber nahe genug, um sie zu hören … manchmal kann man sie auch sehen –«
    Einen kurzen Moment lang konnte Orris nicht weitersprechen. Sein Adamsapfel hüpfte hoch und runter, als ob er versuchte,
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