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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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    Hier bleibt der Schnee nie lange liegen. Wenn er aber doch einmal für eine Schneedecke reicht, machen alle, die unter vierzehn sind, ihre Schlitten startklar und flitzen raus in den Park und fahren die zwei kleinen Hügel runter. Die Rodelpisten sind höchstens zehn Meter lang, aber ein Gedränge ist dort wie sonst was.
    Ich war heute mit meiner kleinen Schwester da. Sie kann noch nicht rodeln. Ich hatte sie im Tragetuch vorn in meiner Jacke. So klein ist sie noch. Sie heißt Maria und hat die ganze Zeit geschlafen. Gott sei Dank. Wenn sie weint, fühle ich mich völlig hilflos.
    Ich habe nachgesehen, ob jemand aus meiner Klasse da ist. Manchmal kommen welche von uns mit ihren Schlitten und der Rest steht am Rand und quatscht. Ich hätte gern meine Freundin Ulli getroffen oder die schlaue Babette. Na ja, eigentlich sind wir schon zu groß zum Rodeln, ist ja klar. Aber hier bleibt so selten der Schnee liegen, dass sich fast keiner beherrschen kann, wenn es mal welchen gibt. Sogar Erwachsene kann man rodeln sehen. Die sind albern, wie kleine Kinder. Es dauert nur ein paar Stunden und schon guckt die Erde wieder unterm Schnee hervor. Trotzdem machen alle weiter. Wie die Verrückten. Es ist laut, Lachen füllt die Luft wie Musik.
    Heute war keiner aus meiner Klasse da. Schade. Wahrscheinlich lernen sie alle. Wir schreiben morgen wieder einen großen Test in Deutsch. Ich habe keine Lust zum Lernen, und außerdem kann ich meiner Mutter helfen, wenn ich Maria eine Weile mit rausnehme. Ich hätte sie ja so gern mal vorgeführt! Sie ist noch ziemlich neu. Und so süß!
    Geplant war sie nicht. Ich meine Maria. Das heißt, das weiß ich nicht genau, aber ich nehme es an. Es gab ziemlichen Wirbel, als es rauskam. Meine Mutter grinste beim Abendbrot so komisch und sagte dann plötzlich: »Wir ziehen um.«
    »Hä?«, machte Mella, meine größere Schwester, siebzehn.
    »Na ja. Wir brauchen ein Zimmer mehr und Carsten könnte auch gleich mit einziehen.«
    Meine Augen fielen fast aus den Höhlen, so weit riss ich sie auf. War das zu fassen? Wieso brauchten wir ein Zimmer mehr? Und Carsten? An den hatten wir uns zwar schon fast gewöhnt, aber zusammen wohnen?
    »Was ist los?«, fragte Mella.
    »Ich krieg ein Kind«, sagte meine Mutter. »Seid mir nicht böse.«
    Pause. Wieso sollten wir böse sein? Komischer Gedanke.
    »Ich freu mich. Und Carsten auch. Stellt euch das mal vor. Wir wären wieder eine Familie!«, redete sie einfach weiter.
    Das war jetzt echt zu viel. Ich sah Mella an und bemerkte, dass sie wütend schluckte. Ihr schöner Schwanenhals wurde rot und fleckig.
    »Wieder eine Familie? Mami, spinnst du?«
    Wir waren mal eine Familie. Aber meine Mutter hat unseren Vater vor ungefähr sieben Jahren verlassen. Da sind wir schon mal umgezogen. Danach hatte ich eine Riesensehnsucht nach ihm und diesem ganzen Familienzauber, wenn alle beisammen sind und es so schön gemütlich und geborgen ist.
    Mein Vater Paul ist ein starker Typ. Er macht Musik. Außerdem managt er eine Kulturkneipe, vielleicht war er deshalb fast nie zu Hause. Aber wenn er da war, dann hatte er gute Laune und wirbelte uns in der Luft herum, sang mir Lieder ins Ohr und tanzte mit Mella. Allerdings gab es zwischen ihm und meiner Mutter oft Streit. Sehr oft. Das war nicht zu überhören. Und es war schrecklich. Zuletzt haben sie sich dann getrennt.
    Wenn es heute zwischen Mella und meiner Mutter kracht, dann fangen sie manchmal an, über die Vergangenheit zu reden, so als würde ihnen das helfen, das Ganze besser zu verstehen. Meine Mutter sagt dann, dass wir nur eine Nebensache in Vaters Leben waren, dass sie oft das Gefühl hatte, Mutter von drei Kindern zu sein und nicht nur von zwei, dass sie sich nie auf ihn verlassen konnte. Neuerdings guckt Mella bei solchen Gesprächen ganz verständnisvoll. Vielleicht liegt das an ihrem Alter?
    Vater hat wieder eine Frau und zwei neue Kinder und wir sehen uns einmal im Jahr. Dann macht er einen riesigen Aufriss, schleppt uns irgendwohin, zeigt uns was, und wenn der Tag rum ist, bin ich völlig fertig. Meistens kommt er im Frühjahr auf die Idee. Dieses Jahr ist Mella zum ersten Mal nicht mitgekommen. Sie hat wirklich was verpasst. Er ist mit mir nach Berlin gefahren. Zum Reden sind wir nicht gekommen. Ich würde ihn doch gern mal fragen, warum es mit unserer Familie damals nicht geklappt hat und ob’s ihm was ausmacht, dass es Carsten gibt.
    »Wieder eine Familie? Mami, spinnst du?«
    Klar, da waren alle Fragen
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