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Geliebte Widersacher 03 - Zaertlicher Winter

Geliebte Widersacher 03 - Zaertlicher Winter

Titel: Geliebte Widersacher 03 - Zaertlicher Winter
Autoren: Courtney Milan
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Kapitel Eins

    Leicester, September 1857
    „I N IHREM Z USTAND “, erklärte Dr. Parwine von der anderen Zimmerseite aus, „muss sie sich vor allem vor üblen Miasmen hüten.“
    Die Atmosphäre im Zimmer war weder übel noch miasmatisch, fand Jonas Grantham, nur düster und angespannt. Das Mädchen – und unseligerweise war sie ein Mädchen, egal, in welcher Lage sie sich nun befand – saß steif auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Behandlungszimmers. Sie hatte dunkles Haar, das sie offen trug. Ihre Figur wies noch keine der Veränderungen auf, die sich bald schon einstellen würden. Sie weinte nicht, obwohl Jonas annahm, dass es die meisten Mädchen in ihrer Situation tun würden. Sie schaute einfach geradeaus, die Hände im Schoß gefaltet. Vielleicht begriff sie auch gar nicht, was ihr geschehen war.
    Er hatte sie vorher schon ein paar Mal gesehen. Er erinnerte sich, wie sie vor nur ein paar Jahren mit anderen Mädchen gespielt hatte, einen Reifen mit wehenden Bändern die Straße entlanggerollt hatte und laut lachend nebenher gelaufen war.
    Sie sah immer noch mehr wie ein Mädchen als wie eine Frau aus, aber jetzt war kein Anzeichen von Lachen an ihr zu sehen.
    „Üble Miasmen“, wiederholte die Mutter des Mädchens atemlos. „Was sind denn üble Miasmen?“
    „Miasmen“, verkündete Parwine, „sind die Ursache aller Krankheiten und sind besonders schädlich für …“, er schaute zu dem Mädchen, kniff seine Augen zusammen. „Für Frauen in anderen Umständen“, beendete er seinen Satz. „Es gibt eine Reihe von Miasmen, die man meiden muss. Zum einen wäre da das Idiokino-Miasma, das von …“
    Jonas Grantham kostete es einige Mühe, sich zu beherrschen und nicht die Augen zu verdrehen. Binnen Wochenfrist würde sein Medizinlehrgang im King’s College in London beginnen. Er hatte Studenten mit Abschlüssen aus Oxford und Cambridge ausgestochen und das begehrte dreijährige Warneford-Stipendium errungen. Die Zeit bis zur ersten Vorlesung, die am ersten Oktober um acht Uhr abends stattfinden sollte – von diesem Moment an gerechnet in sechs Tagen und sieben Stunden –, konnte er kaum noch abwarten. Und wenn er es mit Ignoranten wie Parwine zu tun hatte, wurde er nur noch ungeduldiger.
    War das sein Ernst, Miasmen? Heutzutage noch? In diesen modernen Zeiten? Die Theorie der Miasmen war vor drei Jahren eindeutig als falsch bewiesen worden. Nur verbohrte alte Narren gaben noch solch einen Unsinn von sich. Aber Jonas hatte nun einmal darum gebeten, bei Dr. Parwine zu hospitieren. Er hatte den Vertrag in der Tasche, Dr. Parwines Praxis zu übernehmen, sobald er mit dem Studium fertig war. Parwine hatte klare Regeln aufgestellt: Er konnte gerne kommen, sich alles anschauen, wie es gemacht wurde, aber als ein ungebildeter (genau das Wort, das der Arzt verwendet hatte) junger Mann werde von ihm erwartet, den Mund zu halten. Und so kam es, dass Jonas hier stand und stumm zuhörte, während ein alter Mann von Miasmen schwatzte.
    „Schließlich“, sagte Parwine gerade, „gibt es noch das Perkoino-Miasma, die Ursache des Gelbfiebers – aber Sie werden Ihre Tochter dem gewiss nicht aussetzen wollen.“
    Die Eltern des Mädchens wechselten Blicke. „Nein, Dr. Parwine, natürlich nicht. Aber was sollen wir tun?“
    Dass er den alten Arzt die letzten Wochen auf seinen Hausbesuchen begleitet hatte, war nicht vollkommen unnütz gewesen. Jonas hatte von Parwine eine Menge darüber gelernt, wie man kein guter Arzt war. Der brave Doktor hielt weitschweifige Vorträge gespickt mit medizinischen Fachbegriffen, die keiner seiner Patienten verstand, und voller Hypothesen, die in den letzten Jahrzehnten von der Medizinforschung widerlegt worden waren. Jonas benötigte seine gesamte Selbstbeherrschung – die selbst unter den besten Umständen kaum vorbildlich war – um den Mund zu halten. Er sagte sich, dass er das aus Respekt vor dem Alter tat, und bislang war es ihm auch gelungen. Aber nur knapp.
    Parwine runzelte die Stirn. „Gegen Übelkeit und Erbrechen, die oft mit diesen anderen Umständen einhergehen, rate ich zu einem Elixier aus Lattichwasser und Blausäure. Nehmen Sie reichlich davon, und es wird die Symptome unterdrücken. Ich schreibe Ihnen ein Rezept für den Apotheker auf.“
    Jonas richtete sich auf und machte einen Schritt nach vorne, bevor er sich fing.
    Er hatte begonnen, für sein Studium medizinische Abhandlungen zu lesen und sich dabei Verbindungen und Inhaltsstoffe für Behandlungen
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