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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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Jacques hielt still, zuckte nicht mit der Wimper, sondern erwiderte den prüfenden Blick bereitwillig, offen und freundlich. Offensichtlich hatte er damit Erfahrung.
    Schließlich begann ein Lächeln um seine Lippen zu spielen, provokativ und entwaffnend zugleich. Mit ausgeglichener, sehr melodischer Stimme sagte er auf französisch: „Es wäre sehr nett, wenn du mir wenigstens die Hosen anlassen könntest. Da ist wirklich alles in Ordnung, glaube mir.“
    Celine gluckste verhalten. Ich brauchte einen Moment, um den Scherz zu verstehen, dann grinste auch ich. Er war schlagfertig, ließ sich nicht einschüchtern, zeigte Mut und Demut zugleich. Endlich zog Christoph sich zurück, blinzelte kurz und unterbrach damit seinen Röntgenblick. „Geschenkt!“, meinte er dann leichthin. Schließlich reichten sie sich beide gleichzeitig die Hände, und Celine stellte sie einander vor:
    „Christoph, das ist Jacques, mein Freund. Jacques, das ist mein Bruder Christoph. Und das“ – sie deutete auf mich – „ist Jann, Christophs Cousin und sein Freund, du weißt schon ...“
    Aha, offensichtlich wusste er schon. Na gut, zumindest blieb uns beiden damit das Versteckspiel erspart. Dass Jacques mit unserem Verhältnis kein Problem hatte, zeigte er mir umgehend, indem er mir lässig seine Hand entgegenstreckte und auf Deutsch mit starkem Akzent sagte: „Es freut misch, disch zu kennen lernen, Jann.“
    Er hatte einen festen Händedruck, der deutlich signalisierte: ich weiß, wer ich bin und was ich will, und ich bin offen für dich. Damit war er mir auf Anhieb sympathisch, und ich ihm offensichtlich auch. Also ersparten wir uns in stillem Einvernehmen den Hahnenkampf. Celine lächelte erleichtert. „Alors, wir wollen gehen. Sonst verpassen wir noch das Fest. Salut, Maman! A ce soir!“
    Ihre Mutter, die das kleine Schauspiel von der Küchentür aus verfolgt hatte, winkte uns kurz zu. Dann machten wir uns auf zum Festplatz.

 
    IX
    Der Nachmittag ging langsam in den Abend über. Überall an den Ständen und Zelten wurden bunte Lichterketten angeschaltet, Fackeln entzündet, Petroleumlampen aufgestellt. Den ganzen Tag lang waren wir über den Festplatz gewandert, hatten hier etwas gegessen, dort etwas getrunken, bei Schießwettbewerben und Geschicklichkeitsspielen mitge-macht, Jongleuren und Schwertschluckern bei ihren Kunststücken zugesehen und uns dabei prächtig amüsiert.
    Jetzt hatten wir uns ein Plätzchen für den Abend gesucht, einen Tisch mit gutem Blick auf die Bühne, wo in Kürze die Musiker ihr Programm beginnen wollten. Die Instrumente standen schon bereit, und auf dem ganzen Platz machte sich eine erwartungsvolle Spannung breit. Ich begleitete Christoph, der für uns alle noch einmal Crêpes holen wollte. Wir standen am Verkaufsstand und warteten auf unsere Bestellung. Christoph balancierte verträumt die Geldmünzen zwischen seinen Fingern, während er in der Glasscheibe des Verkaufswagens die Spiegelbilder der Menschen hinter sich beobachtete.
    Plötzlich spannte er sich mit einem Ruck an, die Münzen fielen zu Boden, aber er achtete nicht darauf, sondern starrte wie gebannt in die Scheibe.
    „Et voilà vos crêpes, Monsieur!“ Aber Christoph reagierte nicht.
    Ich nahm ihm rasch die Geldbörse aus der Hand, bezahlte, schob die Crêpes und den geistig abwesenden Freund zur Seite, um für den nächsten Kunden Platz zu machen, und sammelte schnell noch die Münzen vom Boden auf.
    „Kannst du mir mal sagen, was gerade in dich gefahren ist?“, zischte ich gereizt, weil das eben alles ein bisschen viel für mich gewesen war.
    Christoph blinzelte mich an, dann erwiderte er atemlos: „Er ist hier.“
    „Wer?“, fragte ich, doch im nächsten Moment wusste ich, wen er meinte. Natürlich war er hier, deshalb waren wir ja auch hier. Ich sah mich rasch um, aber ich konnte niemanden entdecken, der mir halbwegs vertraut vorkam.
    „Er ist schon wieder weg. Ich habe selbst fast gedacht, ich hätte mich geirrt, als ich sein Spiegelbild in der Scheibe sah. Ich habe so ein Gefühl im Bauch, schon den ganzen Nachmittag, als würde ich beobachtet.“
    „Es kann durchaus sein, dass er uns schon die ganze Zeit über im Auge hat. Trotzdem müssen wir jetzt die Crêpes zurückbringen, sonst werden sie kalt.“ Ich nahm vorsichtig einen in jede Hand und bedeutete Christoph, die anderen beiden zu nehmen, dann schlängelten wir uns durch die Menschenmenge zu unserem Tisch zurück.
    „Celine, il est là !“, rief Christoph
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