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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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dort als erstes.
    „Évidemment qu’il est là. Je l’ai déjà vu“, antwortete sie. Und dann auf deutsch: „Er wird herkommen, wenn er es für richtig hält. So war es doch bisher auch immer, weißt du noch?“
    Christoph schüttelte nachdenklich den Kopf: „Es ist so lange her.“
    Schweigend aßen wir unsere Crêpes und warteten, dass etwas passierte. Irgendetwas.
     
    Und dann stand er plötzlich neben uns.
    Zuerst nahm ich nur einen Schatten war, der sich vor die untergehende Sonne schob. Im selben Moment lief mir ein Schauer über den Rücken, und ich blickte irritiert von meinem Programmheft auf.
    Da stand er und schaute stumm zu uns herab. Die letzten Sonnenstrahlen beleuchteten seine Silhouette von hinten, so dass ich zunächst nicht viel mehr von ihm erkennen konnte als diesen schwarzen Scherenschnitt. Ich wagte einen Blick zu Christoph: auch er hatte ihm das Gesicht zugewandt, sah ihm in die Augen und rührte sich nicht. Zu Celine: dasselbe. Es war, als wären wir alle in diesem Moment eingefroren, unfähig, zu handeln oder auch nur zu denken.
    Und jetzt wusste ich auch, warum: seine Augen, die aus dem schattigen Gesicht wie zwei Eiskristalle funkelten, hielten uns alle fest. Diese Augen waren noch ausdrucksstärker als Christophs oder Celines, noch fesselnder, noch durchdringender. Sein Blick zerlegte mich förmlich in meine einzelnen Bestandteile und fügte mich andersherum wieder zusammen. Zwischen uns allen schien sich durch diesen Blick eine unsichtbare Verbindung aufzubauen, über Raum und Zeit hinweg, so dass alles andere im Dunkeln versank. Mir sträubten sich die Nackenhaare!
    Plötzlich rührte er sich, trat aus dem Sonnenlicht heraus und beendete damit die beinahe gespenstische Situation. Ich atmete leise auf und spürte, wie auch Jacques sich wieder entspannte. Christian trug das Haar wie sein Sohn, jedoch einen goldblonden, gut gepflegten Vollbart dazu. Er trug ein Leinenhemd, darüber eine Stoffweste, und eine verwaschene Jeans. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig. Er war eine imposante, attraktive Erscheinung, ein reifer Mann, noch immer in der Blüte seiner Jahre, den man, einmal gesehen, nicht so schnell wieder vergessen konnte.
    Endlich brach er auch das Schweigen mit tiefer, kräftiger Stimme: „Irgendwie habe ich es gewusst, euch beide einmal zusammen zu sehen, aber ich habe es nie glauben wollen und mich vor diesem Augenblick gefürchtet. Jetzt ist er da, und ich stelle mich ihm.“
    Christoph stand auf, langsam, als überlegte er noch, was er jetzt tun sollte. Ich ahnte, warum er zögerte: in ihm kämpften Freude und Wut, Erleichterung und Enttäuschung, Glück und Frust. Was davon konnte, was wollte er seinen Vater zuerst spüren lassen.
    Er hielt ihm die Hand hin, nicht zum freundschaftlichen ‚Shake-Hands’, sondern mit angewinkeltem Arm wie zu einem Faustdrücken – ein Machtkampf? Oder nur seine ganz persönliche Art, mit seinem Vater Verbindung aufzunehmen?
    „Vater!?“
    Sein Vater umfasste seine Hand, zuerst etwas zögerlich, dann jedoch mit einem festen, herzlichen Druck. Sie sahen sich unverwandt in die Augen, und ich beobachtete, wie Christoph in diesen Sekunden all die Kraft nachtankte, die er in den letzten drei Jahren hatte entbehren müssen.
    Plötzlich wurde er unruhig, sein Gesicht abweisend, trotzig, beinahe zornig, und ich hörte ihn leise fragen: „Warum hast du mich allein gelassen? Warum bist du ohne ein Wort gegangen? Warum hast du uns im Stich gelassen?“ Mit jedem Wort wurde seine Stimme dunkler, drohender und zugleich verzweifelter.
    Sein Vater ließ die Brücke zwischen ihren Augen keine Sekunde lang abbrechen, er zwinkerte nicht einmal. Er sagte nur ganz bestimmt: „Ruhig, Christoph, ich möchte, dass du ruhig bleibst.“ Zu meinem größten Erstaunen schien Christophs Adrenalinspiegel tatsächlich wieder zu sinken – soviel Vertrauen war da in seinen Vater, den er nur einmal im Jahr für ein paar Wochen gesehen hatte. War das nicht wie Magie?
    Christian fuhr fort: „Ich werde es dir sagen, aber nicht jetzt. Nachher, zum Ende des Programms, treffen wir uns vor meinem Zelt, da können wir in Ruhe reden.“ Er hielt Christoph noch immer fest in seinem Griff, während er sich umwandte und den anderen Arm ausstreckte. Nun rührte sich auch Celine wieder, ergriff seine Hand und rief voll herzlicher Freude: „Salut, Papa!“ Sie ließ sich von ihm an sich ziehen, schmiegte sich an seine Brust und legte ihren anderen Arm um Christoph.
    Da standen
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