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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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und den wilden Tanz der Geschwister vor Augen.
    Schließlich erklärte Christoph: „Dieses Lied hatte mir Vater von klein auf immer wieder vorgespielt. Er hat mir die Schritte beigebracht, und sie jedes Jahr immer wieder mit mir geübt. Auch noch andere, aber diese besonders. Er sagte, das wäre sein Erbe für mich, das, was in mir bliebe, wenn er einmal nicht mehr da sein würde. Musik und Tanz, mehr hätte er nicht zu bieten. Ein ziemliches Understatement, aber er hatte damit auch meine Liebe zum Tanzen geweckt.“ Celine nickte, während sie hastig trank. Offenbar war es bei ihr genauso abgelaufen. Schließlich lachte Christoph schallend  auf: „Dass das heute passieren würde, damit hatte er sicherlich nie gerechnet.“ Oder vielleicht doch?

 
    X
    Später am Abend saßen wir vor Christians Zelt um ein kleines Lagerfeuer herum. Christophs Kopf ruhte in meinem Schoß, während Celine sich in Jacques’ Arme gekuschelt hatte. Christian saß zwischen uns und warf gedankenverloren kleine Reisigschnipsel ins Feuer. Übergangslos begann er zu reden:
    „Den Entschluss, mich ab deinem achtzehnten Lebensjahr aus deinem Leben zurückzuziehen, hatte ich schon lange vorher gefasst. Es war keine spontane Entscheidung gewesen, wie es dir vielleicht vorkam. Ich hatte gemerkt, wie sehr du dich an mir orientiertest, wie eifrig du mich imitiertest, alles von mir aufsaugtest und mich doch nicht erreichen konntest. Denn du hattest noch deine Mutter, die dich immer wieder und unerbittlich von deinen Höhenflügen mit mir auf den Boden der Realität zurückzwang. Du warst hin und her gerissen zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Ich wollte, dass du deinen eigenen Weg gehst und keinen falschen Träumen nachjagst. Du solltest dich selbst finden und erkennen, was du für dich willst. Die Trennung tat auch mir weh, glaub mir. Und es hat mir fast das Herz zerrissen, als ich erfuhr, wie sehr du darunter gelitten hast – und deine Mutter auch.“
    Christoph hob erstaunt den Kopf: „Wie konntest du das wissen? Du warst doch seitdem nicht mehr in München, oder?“
    Christian lächelte ihn entschuldigend an: „Doch. War ich. Jedes Jahr. Aber ich habe mich vor dir verborgen. Nur deine Mutter wusste, wann und wo sie mich finden konnte. Für den Notfall.“
    Ich spürte, wie ein Ruck durch Christophs Körper ging. Rasch legte ich meinen Arm um seine Brust und hielt seinen Oberkörper fest, sodass er schließlich doch liegen blieb und nur lauernd zu seinem Vater hinüberschaute. Der fuhr fort:
    „Deine Mutter hielt mich auf dem Laufenden, über dein Tun und deine Pläne. Als ich erfuhr, dass du dein Studium aufnahmst und bei ihr bliebst, war ich sehr froh. Dann berichtete sie mir von deiner Beziehung mit Falk, und ich wurde unruhig. Aber ich dachte mir, na ja, dass du das vielleicht einfach mal durchmachen musst. Also wartete ich ab.
    Einige Monate später erreichte mich dann der Hilferuf deiner Mutter: Falk sei verschwunden und du seiest so furchtbar rastlos und unstet. Du wolltest nach Kanada, und sie wüsste nicht, ob du zurückkämst. Da bekam ich Angst um dich.“
    Christoph richtete sich nun doch auf: „Aber warum bist du in diesem Moment nicht zurückgekommen? Wir hätten reden können. Mir wäre wahrscheinlich einiges erspart geblieben.“ Der Vorwurf in seiner Stimme war unüberhörbar.
    Christian sah ihn von der Seite her an, den Blick voller Zweifel: „Meinst du wirklich? Hmm, kann sein. Aber ich dachte damals, wenn ich jetzt wieder auftauchte, würdest du mich entweder aus tiefstem Herzen hassen oder dich aus lauter Verzweiflung an mich klammern und keine objektiven Entscheidungen mehr treffen können. Also blieb ich weiterhin im Hintergrund, auch wenn mir das Herz blutete.“ Er verstummte. Nach ein paar Augenblicken stummer Zwiesprache zwischen ihren Augen ließ Christoph den Kopf wieder in meinen Schoß sinken: „Sprich weiter.“
     Christian angelte sich ein neues Ästchen und begann wieder, es zu zerkleinern und ins Feuer zu werfen. Celine sah ihm aufmerksam zu, während Jacques ihr liebevoll über den Rücken streichelte. Er verstand wahrscheinlich nur die Hälfte von dem, was hier erzählt wurde, spürte aber, dass es furchtbar wichtig war, das alles jetzt und hier zu besprechen, und verhielt sich daher mucksmäuschenstill.
    Christian seufzte: „Deine Mutter hatte mir gesagt, wann du fliegen wolltest, und ich nahm mir fest vor, dir auf dem Flughafen gegenüberzutreten.“ Was?! Er war da
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