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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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und er sprach weiter, angegriffen dieses Mal.
    „Ich frage mich nur, wieso du vorher zu mir kommst.
    Gerade heute. Um kurz vor zwölf vor meiner Verwandlung.
    Willst du es mir schwer machen? Mich absichtlich quälen?“,
    warf er mir tobend vor. Er war verletzt und fühlte sich be-
    trogen. Istvan hatte ja noch keine Ahnung, wie sehr ich ihm
    und mir wehtun würde.
    „Ich quäle dich doch nicht. Das ist das Letzte, was ich
    will. Der einzige Mensch, den ich damit quäle, bin ich. Ich
    habe nicht die Kraft für einen Abschied, deshalb warte ich
    auf die Verwandlung. Ich bin feige und will es mir leichter
    machen. Es ist nicht mehr viel übrig von der Frau, die du
    mal geliebt hast“, vertraute ich ihm flüsternd an und konnte
    die Resignation in meinem Ton hören. Ich war dabei, die
    Fassung zu verlieren. Aber das war die einzige Möglichkeit,
    auch ihn aus der Reserve zu locken, um einen letzten, ver-
    zweifelten Versuch zu wagen.
    „Gott, Joe, wie kannst du nur so von dir selbst reden. Ich
    erlaube dir nicht, dass du dich so demütigst. Und verdammt,
    du weißt, dass ich dich noch immer liebe“, schrie er mich an
    und presste sich wieder die Hände unter die Achseln, ver-
    mutlich um zu verhindern, dass er mich berührte. Er press-
    te die Lippen schmerzhaft aufeinander, bis sie nur noch ein
    dünner Strich waren. Er hatte Angst, das Falsche zu sagen,
    genauso erging es mir.
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    „Aber wenn du mich noch immer liebst, dann gib mich
    nicht auf. Kämpfe um mich!“, forderte ich ihn heraus und
    stellte mich dabei direkt vor ihn, um es ihm noch schwerer
    zu machen, mich nicht zu berühren.
    „Aber genau das tue ich. Ich kämpfe für dich, damit du
    glücklich und sicher sein kannst. Dafür muss ich dich be-
    schützen, vor allem vor mir!“, murmelte er jetzt vor sich
    hin. Völlig verkrampft war er wieder dabei, sich hinter seine
    Mauern aus Rechtschaffenheit zu verkriechen. Ich musste
    das verhindern.
    „Istvan, willst du, dass ich gehe? Soll ich gehen?“, fragte
    ich ihn mit bebender Stimme. Meine Augen durchbohrten
    ihn jetzt regelrecht.
    „Nein. Geh nicht. Bleib bei mir“, flehte er mich an. Seine
    grünen Augen funkelten verstörend. Aufrichtig. Wie konnte
    man diese Bitte ausschlagen. Ich fühlte mein Herz schmel-
    zen. Sein Feuer begann mich zu erweichen. Das konnte ich
    gar nicht gebrauchen. Ich versuchte, die Liebe und die Sehn-
    sucht nach ihm für den Bruchteil einer Sekunde aus meinem
    Herzen zu reißen, um ihn etwas zu fragen.
    „Und als was soll ich bleiben?“ Meine Stimme war kalt
    und unversöhnlich. So sprach ein leeres, gebrochenes Herz.
    „Als du selbst, als meine Joe“, antwortete er mit der sanf-
    testen Samtstimme, die mich mürbe machte. Sofort war mein
    Herz wieder übervoll, wie ein überschwappender Ozean.
    „Aber nicht als die Frau an deiner Seite, oder?“, bohrte
    ich nach.
    Ich musste es genau wissen.
    Er sagte nichts. Er schwieg. Istvan war nicht bereit, mir
    zu geben, was ich von ihm brauchte, noch nicht.
    Ich musste ihn noch viel mehr erschüttern. Mit einer leich-
    ten Drehung machte ich mich bereit zu gehen. Aus den Au-
    genwinkeln sah ich seinen entsetzten Gesichtsausdruck, be-
    gleitet von seinen atemlosen Bitten: „Geh nicht. Bitte, bleib! “
    Die Uhr tickte unaufhaltsam. Die Sonne war schon fast
    ganz untergegangen und es blieben nur noch Minuten, ehe
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    bei Istvan die Verwandlungsschmerzen einsetzen würden.
    Ein Schmerz löste den anderen ab, dachte ich, und nannte
    mich in Gedanken unzählige Male „Monster“.
    Der Regen wurde immer heftiger, während ich reglos da-
    stand, ihm meinen Rücken zukehrte. Meine Haare waren
    schon klatschnass und schwer. Ich hörte seine wunderschö-
    ne, traurige Stimme und das Flehen in ihr kristallklar, sogar
    durch die Regenwand hindurch. Eine schönere Melodie hat-
    te es nie gegeben. Auf dieses Zeichen hatte ich gewartet. Ich
    drehte mich wieder um. Er stand ganz plötzlich hinter mir.
    Ich blicke ihm direkt in die Augen. Unsere Körper waren
    nur eine Handbreit voneinander entfernt. Wir atmeten beide
    schwer und angestrengt. Ich musste sie nutzen, die letzte
    Gelegenheit, ehe der Schmerz alles überlagerte. Noch ein
    letztes Ultimatum, noch eine letzte Chance, das Ruder he-
    rumzureißen, ehe es zu spät dafür sein könnte.
    „Istvan“, ich flüsterte seinen Namen wie ein Gebet, von
    dem ich hoffte, es würde erhört werden, erhört werden von
    ihm.
    „Küss mich! Damit ich bleiben kann. Oder lass mich
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