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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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Ich
    drehte mich sofort um. Ich konnte nicht fassen, was ich sah.
    Ich wusste, dass Istvan stark war. Aber ich hatte keine Ah-
    nung, wie stark, bis ich sah, dass er mit den Händen den
    hinteren Teil des Wagens hochhob, damit ich nicht davon-
    fahren konnte. Die Reifen drehten sich in der Luft. Sein
    angestrengter Unterkiefer spiegelte sich im Rückspiegel. Er
    stöhnte, weniger wegen des Kraftaufwandes als durch den
    Schmerz der Wandlung.
    „Lass mich gehen!“, flehte ich ihn flüsternd an und wuss-
    te, dass er es hören konnte. Aber er ließ es nicht zu. Erst
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    als die Verwandlung übermächtig wurde, sauste der Wagen
    mit einem Ruck nach unten und Istvan fiel auf die Straße.
    Instinktiv griff ich nach dem Türriegel, konnte mich aber im
    letzten Moment noch zusammennehmen. Ich durfte ihm
    jetzt auf keinem Fall zu Hilfe kommen, dann wäre alles um-
    sonst. Eine einzige Berührung und meine Entschlossenheit
    würde sich wie Rauch auflösen.
    Ich sah, dass er schon fast ein Wolf war, als ich meine
    eigenen blauen Augen im Rückspiegel erblickte, abgebildet
    zusammen mit seinem Wolfskörper.
    „Monster“, stieß ich jetzt angewidert hervor und mein-
    te damit mich und nicht den Werwolf, der sich hinter mir
    verwandelte, mitten auf der Straße im Dorf, weil ich es so
    arrangiert hatte.
    Ich war ein Monster. Nur Monster können solche un-
    fassbaren Dinge tun. Istvan hasste immer die falschen Men-
    schen wie sich selbst. Er hätte mich hassen müssen. Mich,
    die ihn nie verdient hatte und jetzt dabei war, feige davon-
    zulaufen. Der Fluchtinstinkt, als ruchloser Verbündeter an
    meiner Seite, ließ mich jetzt den Wagen starten und über die
    Kirchenstraße fahren, während der Wolf in meinem Rücken
    immer kleiner wurde.
    In Tränen aufgelöst brauste ich mit rücksichtslosem Tem-
    po die Hauptstraße hinunter, vorbei am Ortsschild, vorbei an
    der lang gezogenen Straße, auf der ich ihn damals fand, auf
    der unsere Reise begonnen hatte. Dieselbe Straße, die mich
    jetzt von ihm wegbrachte, in irgendein Wiener Hotel, in dem
    ich meine Wunden lecken würde und selbst daran arbeiten
    konnte, Selbsthass zu kultivieren und mich in Verachtung
    einzuhüllen. Als ich dabei war, die letzten Häuser von Roh-
    nitz hinter mir zu lassen, waren meine Augen so mit Tränen
    gefüllt, dass ich kaum noch die Straße sah. Wenn ich Glück
    hatte, baute ich einen Unfall oder fuhr in den Graben. Aber
    irgendetwas sagte mir, dass ich nicht so glimpflich davon-
    kommen sollte, dass es noch lange nicht hier zu Ende ging,
    auch wenn es sich jetzt vielleicht so anfühlte.
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    Die Monster dieser Welt, die sich davonstehlen und
    Schmerz und Zerstörung zurücklassen. Dazu zählte ich jetzt
    auch. Nur dass ich noch schlimmer war. Ich floh vor etwas,
    dass ich eigentlich festhalten wollte. Wozu machte mich
    das?
    Die dunklen, verschlungenen Straßen des Geschrieben-
    steins konnten mir auch diesmal nichts anhaben. Ich war
    schon auf dem Gipfel und glaubte, das Schlimmste hinter
    mir zu haben, als ich den rennenden Wolf neben mir ent-
    deckte, der versuchte, mit dem rasenden Auto mitzuhalten.
    Seine irisierenden, grünen Augen warfen mir immer einen
    kurzen Blick zu, der mir jedes Mal den Atem raubte und die
    Heulkrämpfe verschlimmerte. Im Grunde wimmerte ich nur
    noch. Mein Blick heftete sich ganz auf das sandfarben ge-
    fleckte Tier neben mir, in dessen Haut sich der Mann, den
    ich liebte, den ich jetzt verließ, versteckte. Der Wolf heulte
    laut und schmerzzerreißend. Als würde er noch immer sagen:
    „Kehr um. Geh nicht!“, nur jetzt in einer anderen Sprache.
    Der finstere Wald war mir noch nie so düster und leer
    vorgekommen. Das laute Jaulen des Wolfes zog meine ganze
    Aufmerksamkeit auf sich, sodass ich gar nicht mehr auf die
    nasse Fahrbahn sah. Erst als ich den Tränenfilm wegblin-
    zeln musste, sah ich, ganz kurz, den Ast auf der Straße und
    trat auf die Bremse. Der Wagen schlingerte. Er vollführte
    beinahe eine 180-Grad-Drehung, ehe er zum Stehen kam.
    Als der Wolf meinen Beinahe-Unfall sah, erstarrte er. Seine
    Augen leuchteten mich erschrocken an. Das Grün war ein
    Brennen. Angst um mich erkannte ich jetzt darin. Mir war
    der Atem verloren gegangen. Erst als ich ausstieg und auf
    die Fahrbahn fiel, beinahe zusammenbrach, der Regen mich
    fast zu Boden drückte, da wurde dem Wolf, wurde Istvan
    klar, dass er mich gehen lassen musste. Er starrte mich lange
    an. Ich versuchte, seinen Blick zu halten, musste mich
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