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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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dazu
    mit beiden Händen von der Fahrbahn abstützen. Danach ein
    letztes Heulen, ehe er in dem pechschwarzen, verregneten
    Wald verschwand.
    428

    Als es mir bewusst wurde, war er weg. Er hatte mich ge-
    hen lassen. Es war tatsächlich passiert. Da überfiel mich der
    Schmerz. Und jetzt wusste auch ich, eine Menschenfrau, wieso
    die Wölfe so schaurig heulen. Denn in diesem Moment schrie
    ich. So laut ich konnte, stieß ich einen Schrei in den regenver-
    hangenen Himmel. Einen Schrei, der mir den Schmerz aus
    dem Körper reißen sollte. Aber es half nicht. Dieser Schmerz
    würde nicht weggehen, dieser Schmerz würde bleiben, so lan-
    ge, bis ich mein Leben aushauchen würde oder bis ich in Ist-
    vans Arme zurückkehren konnte, als die Frau an seiner Seite.
    Doch in dieser Nacht würde nichts von alledem gesche-
    hen. In dieser Nacht fuhr ich nur immer weiter und weiter
    weg von ihm, weg von mir selbst. Bis ich, kurz vor Tagesan-
    bruch, auf einem Feld in der Umgebung von Wien anhielt.
    Ich konnte keinen Kilometer mehr fahren, ohne einzuschla-
    fen. Ich musste aussteigen, wollte nicht länger in diesem ver-
    dammten Fluchtauto sein. Ich fuhr so nahe ich konnte an den
    Fahrbahnrand und setzte mich gramgebeugt auf die Motor-
    haube, kaum noch ein Mensch, kaum noch eine Frau.
    Der Schattenmensch, der ich nun war, musste sich etwas
    die Beine vertreten, ehe er seine Flucht fortsetzen konnte.
    So ging ich ein paar Meter neben dem Feld her, noch
    immer der dunkle Morgen um mich herum. Jetzt erst, durch
    die kalte Luft in meinem Gesicht, bemerkte ich, dass meine
    Tränen versiegt waren. Es war eine rein körperliche Mangel-
    erscheinung, denn mein Inneres, meine Seele, hatten nie da-
    mit aufgehört. Lediglich meinem Körper war die Flüssigkeit,
    Tränen zu bilden, ausgegangen. Dieser Gedanke ließ mich
    nicht los, genauso wenig wie das Gesicht Istvans, als er mich
    anflehte, nicht zu gehen.
    Wie aus dem Nichts kamen mir die Bilder der letzten
    Nacht in verdrehter Reihenfolge ins Gedächtnis und ver-
    mischten sich mit Bildern aus meinem Traum, der diese
    ganze Wahnsinnstat ausgelöst hatte:
    Eine Frau, die keine Tränen mehr hat. Eine Frau, die mit
    ihrem Schrei den Himmel zerreißt. Eine Frau, die gebrochen
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    an einem Feld steht. Eine Frau, die im Regen und in ihrem
    eigenen Schmerz ertrinkt. Eine Frau, die den Himmel dazu
    bringt, an ihrer statt zu weinen.
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag. Jetzt war al-
    les so klar. Wie ein Gewitter manchmal reinigend sein kann.
    Ich war diese Frau, ich war es immer schon gewesen. Istvans
    Gedicht, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hatte, das
    mich in meinen Träumen ständig verfolgte, war Wirklichkeit
    geworden. Auch wenn ich diese Worte seit Monaten weder
    gelesen noch gehört hatte, formten meine Gedanken die Zei-
    len lückenlos und fehlerlos zusammen:
    Des Nachts ward sie oft gesehen,
    dort bei dem Haine stehen,
    doch ward nicht eine Träne
    aus ihrem Aug geflossen,
    und dennoch schaut ihr Blick
    von Traurigkeit so schwer,
    da weinte der Himmel
    an ihrer statt, so sehr,
    dass sieben Nächte fort
    das Wasser ward gegossen,
    dass tote Flüsse gar flossen!
    Die Frau in Istvans Gedicht, die traurige Frau in meinen
    Träumen – das war immer ich. Und der Mann, der in meinen
    Augen gebrannt hatte, war er. Es war also unausweichlich.
    Ich musste diesen Weg gehen, wir mussten beide diesen
    Weg voneinander weg einschlagen in der Hoffnung, dass er
    uns am Ende wieder zusammenführen würde. Ich, die ich
    nie an Schicksal geglaubt hatte, vertraute mich jetzt ganz
    diesem Gefühl an, das mir sagte, dass es noch nicht vorbei
    war. Ich glaubte noch immer an ihn, an uns. Ich musste nur
    einen Weg zurück zu ihm finden. Doch dieser Weg lag jetzt
    noch im Dunkeln. Aber ich hatte das Licht der Hoffnung,
    das mich lenkte, auf meiner Seite.
    430

    ENDE TEIL 1

    Die Autorin
    Ruth Adelmann, geboren 1983, lebt
    derzeit im Burgenland und in Wien.
    Seit dem Abschluss ihres Publizistik-
    Studiums an der Universität Wien
    arbeitet sie als freie Zeitungsredak-
    teurin und als Marketingassistentin.
    Mit „Wolfsfieber“ erscheint der
    Debütroman der jungen Autorin.

    VERLAG FÜR NEUAUTOREN
    Der Verlag
    Der im österreichischen Neckenmarkt behei matete,
    einzigartige und mehrfach prämierte Verlag konzent-
    riert sich speziell auf die Gruppe der Erstautoren.
    Die Bücher bilden ein breites Spektrum der aktuel en
    Literaturszene ab und werden in den Ländern Deutsch-
    land, Öster
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