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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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im
    selben Moment kam mir das Leben, das seit Tagen aus den
    Fugen geraten war, wieder intakt vor. Ich hatte bis zu diesem
    Augenblick nicht gewusst, dass man sich im selben Moment
    zu Tode betrübt und zum Zerspringen glücklich fühlen kann.
    Aber genauso fühlte es sich an, als mein Blick seinen suchte,
    als er seine grünen Augen auf mir ruhen ließ, während er
    an die Mauer gelehnt auf mich wartete. Ich, die zögerlich
    auf dem Autositz klebte, war mir sicher, dass ich versagen
    würde. Ich konnte ja noch nicht mal seinen Anblick aus zwei
    Metern Entfernung ertragen, wie sollte ich mich ihm dann
    widersetzen können, wenn es nötig war, wenn ich besorgnis-
    erregend dicht vor ihm stehen würde? Mein Puls? Jenseits
    des messbaren Bereichs. Er hörte es, natürlich, wie immer.
    Seine Augen funkelten mich unter angestrengten Brauen
    an, bereit, sich für mich und meinen Herzschlag zu opfern.
    Würde ich dieselbe Entschlossenheit aufbringen?
    Ich zitterte. Meine Hände zitterten und hatten sich mei-
    ner Kontrolle entzogen. Ich schüttelte sie krampfhaft, wäh-
    rend ich weiterhin seinen Blick hielt. Er durfte meine blanke
    Nervosität und Unsicherheit nicht sehen. Trotz meines ra-
    senden Herzschlages musste ich einen gefassten Eindruck
    erwecken. Wieso kam er nicht zu mir? Ich würde zu ihm ge-
    hen müssen. Ich konnte nur hoffen, dass meine Beine mich
    jetzt nicht im Stich ließen. Ich blickte kurz nach unten, um
    nachzusehen, ob meine Hände sich beruhigt hatten, dann
    öffnete ich die Autotür und stieg langsam aus. Ich stützte
    mich am Türrahmen ab, noch hielt ich mich aufrecht. Das
    sollte so bleiben. Jeder zögerliche Schritt, den ich auf ihn
    zu machte, brannte mir eine Wunde ins Herz, weil ich, im
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    Gegensatz zu ihm, schon wusste, dass mich mein Weg viel-
    leicht nicht zu ihm hin, sondern von ihm wegbringen könnte.
    Der Gedanke brachte mich fast um. Aber ich ging weiter.
    Noch einen Schritt. Dann noch einen. Genauso atmete ich.
    Ein, dann aus. Ich blieb vor ihm stehen und sah auf den
    Boden. Ich stapfte nervös mit den Füßen auf den Kieselstei-
    nen herum, während mir der leichte Regen die Haare nass
    machte. Auch in seinem Sandhaar breitete sich die Feuch-
    tigkeit aus. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht un-
    gestüm meine Finger in seinen Nackenhaaren zu vergraben.
    Es war schmerzhaft, dieses Verlangen selbst in einem sol-
    chen bedrückten Moment fühlen zu müssen. Er sah nicht
    gut aus. Wie musste ich erst aussehen? Natürlich war alles
    an ihm noch da, was ich begehrte. Seine Wangenknochen,
    sein Zug um den Mund und die magischen, grünen Augen.
    Nur schien alles ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten.
    Wie schlimm war es bei mir? Der letzte Anblick von mir, an
    den ich mich erinnerte, war grauenhaft gewesen. Ich hatte
    eher wie eine Wahnsinnige ausgesehen als wie ich selbst.
    Erst nach einigen schweigsamen Minuten wagte ich es, feige
    meinen Blick zu heben. Da merkte ich, dass er ebenso sei-
    nen Blick gesenkt hielt und ihn nun gleichzeitig mit mir hob.
    So kreuzten sich unsere Augen im selben Moment. Ein ver-
    störend schönes Gefühl durchfuhr mich. Es war die reinste
    Folter. Aber nichts im Vergleich mit dem, was ich noch vor-
    hatte zu tun.
    Ich wusste nicht, ob meine Stimme überhaupt noch
    funktionierte. Aber jetzt musste ich sprechen, mir lief die
    Zeit davon und es gab so viel, was ich ihm sagen wollte, so
    viel, was ich noch sagen musste.
    „Du fragst dich sicher, warum ich hier bin?“, sagte ich und
    taxierte seinen Blick, während ich auf eine Antwort wartete.
    „Ich frage mich eher, warum dein Herz rast wie ein Gü-
    terzug. Wieso du hier bist, wage ich gar nicht zu fragen“, ge-
    stand er mir und lächelte gequält. Er fühlte sich unwohl in
    seiner Haut und er wusste, dass etwas nicht stimmte.
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    „Mein Herz. Beachte es gar nicht. Ich habe es aufgege-
    ben, es unter Kontrolle halten zu wollen. Es macht sowieso,
    was es will. Du bist das beste Beispiel dafür. Und du weißt,
    wieso ich hier bin“, deutete ich mit hochgezogenen Augen-
    brauen an. Ich schluckte mehrmals. Meine Kehle war wie
    zugeschnürt. Ich hatte jetzt panische Angst.
    „Es ist mir noch nie gelungen, dein Herz zu ignorieren. Das
    wird sich jetzt nicht plötzlich ändern. Und ja, ich ahne, wa-
    rum du gekommen bist. Deine Augen. Deine Stimme. Dein
    Herz. Alles klingt nach Abschied!“ Das letzte Wort presste er
    widerwillig zwischen den Zähnen hervor, dann verfinsterte
    sich sein Blick
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