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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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Ich
    fühlte mich wie eine Ertrinkende, also träumte ich auch so.
    Ich bekam, wach oder nicht, einfach keine Luft mehr. War
    ich bei ihm, fühlte ich mich einsam und traurig, ausgelaugt,
    atemlos. War ich nicht bei ihm, war es, als hätte ich die Fä-
    higkeit, den puren Willen zum Ein- und Ausatmen verloren.
    Egal wie, ich war erledigt. Es gab keinen Ausweg, weder für
    mich noch für uns.
    Ich saß noch immer hochgeschreckt im Bett und versuch-
    te zu vermeiden, in dieselbe Schlafposition zurückzukehren.
    Denn ich wusste, wenn ich in dieser Nacht auch nur
    eines der Traumbilder wiedersehen müsste, würde ich den
    Verstand verlieren. Ich versuchte, mich auf die Seite meines
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    Bettes zu legen, und wartete stundenlang, bis endlich der
    Morgen anbrach. Der Morgen, der mich zu einer Entschei-
    dung zwingen sollte, die ich in meinem Herzen nicht treffen
    wollte. Von der mir aber mein Verstand einbläute, dass kein
    Weg daran vorbei führte.
    Die erste Entscheidung, die ich an diesem Morgen traf, war,
    mir ein oder zwei Wochen freizunehmen. In meinem der-
    zeitigen Zustand war ich nicht fähig zu arbeiten. Ich würde
    noch schreiben können und die Kritiken notdürftig zusam-
    menbasteln, aber mit Menschen zu sprechen oder freund-
    liche Interviews zu führen, lag jenseits von allem Machba-
    ren. Ich rief in aller Herrgottsfrühe Frank an, der gerade erst
    ins Büro gekommen war. Ich servierte ihm eine Geschichte
    über familiäre Verpflichtungen, dass ich ein oder zwei Wo-
    chen nicht zur Verfügung stehen könne, dass ich vielleicht
    sogar verreisen müsse. Er war nicht gerade begeistert, er-
    klärte sich aber einverstanden. Vielleicht erschreckte ihn der
    Ton meiner Stimme am Telefon auch so sehr, dass er nicht
    weiter nachfragen wollte.
    Als ich auflegte, bemerkte ich ein vertrautes Motorenge-
    räusch, das vom Ende meiner Straße kam. Im Pyjama hechte-
    te ich zum Küchenfenster und sah Istvans schwarzen Cama-
    ro, der an der Kreuzung zu meiner Straße parkte. Durch die
    getönten Scheiben erkannte ich ihn nicht, aber ich wusste,
    dass er mich hören konnte. Er konnte meinen leisen Puls be-
    stimmt laut und deutlich wahrnehmen. Es sah nicht so aus,
    als wollte er zu mir kommen. Die Art, wie sein Wagen mit die-
    sem Sicherheitsabstand parkte und sich nicht von der Stelle
    rührte, war leicht zu interpretieren. Er überwachte mich.
    Drei Tage bis zum ersten Vollmond. Natürlich wachte er über
    mich. Auch wenn die unmittelbare Gefahr geschätzte tausend
    Kilometer weit weg war, konnte er nicht anders, als mich aus
    der Ferne zu beschützen. Wie konnte er da nicht verstehen,
    dass er für mich noch immer Orion war? Jeder Mann hätte
    mich nach meinem Verhalten längst satt, hätte sich von mir
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    losgesagt, aber nicht Istvan. Obwohl er fest glaubte, für mich
    die größte Gefahr zu sein, konnte er nicht anders, als sicher
    zu gehen, dass es mir auch gut ging. Wenn er nur … Die
    traurigsten Worte in jeder Sprache. Wenn er sich nur über-
    winden könnte. Auch am nächsten Tag kam er wieder. Nach
    Bibliotheksschluss mit dem Wagen und sonst, am Abend, zu
    Fuß. Dann sah ich ihn am Waldrand stehen. Ich beobachtete
    ihn vom Wintergarten aus, ohne das Licht anzumachen. Aber
    selbstverständlich bemerkte er meine Anwesenheit. Stunden-
    lang beobachteten wir uns gegenseitig. Er kam nicht zu mir
    hinein und ich ging nicht zu ihm nach draußen.
    Ich presste meine Handfläche gegen das kalte Glas des
    Wintergartens und sprach zu ihm, ohne mit Sicherheit sagen
    zu können, ob er es hörte oder nicht.
    „Wieso tust du das? Wieso brichst du uns beiden das
    Herz? Wieso kannst du nicht damit aufhören?“, schluchzte
    ich verzweifelt. Mein Herz setzte für den Bruchteil einer Se-
    kunde aus. Zuerst schien es, als ob er sich dem Haus näher-
    te. Dann setzte mein Herzschlag wieder ein und Istvan zog
    sich zurück in den Schutz des dunklen Waldes. Es schmerz-
    te, sogar körperlich, ihn immer so nahe zu wissen und doch
    nie wirklich bei ihm zu sein. Würde es von jetzt ab immer so
    weitergehen? Er würde tatsächlich wie das Sternbild Orion
    über mich wachen, von einer sicheren Entfernung aus, nicht
    weiter an meinem Leben beteiligt? Sollte das alles sein, was
    von uns übrig blieb?
    Nein. Nicht, wenn es nach mir ginge. Ich war mir mehr
    denn je sicher, dass es Zeit wurde, etwas zu unternehmen.
    Ich musste ihn derart schocken, dass seine Mauer zusam-
    menfiel. Ich brauchte einen Plan. Einen Plan, mit dem
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