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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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ich
    zurückbekommen wollte, was ich verloren hatte.
    Als ich in dieser letzten Nacht, bevor der Vollmond und die
    Verwandlung kommen sollten, in seine weit entfernten Au-
    gen am Waldrand sah, war ich mir sicher: Die Zeit zum Han-
    deln war gekommen.
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    Am nächsten Tag begann ich mit den Vorbereitungen zu
    meinem unfassbaren Plan. Ich nutzte die Öffnungszeiten der
    Bibliothek und die Stunden, in denen ich unbeobachtet sein
    würde, um zur Bank zu gehen. Dort hob ich alles ab, was auf
    meinem Sparbuch lag. Ein bescheidener Betrag, aber genug
    für meine Zwecke. Die etwas mehr als zweitausend Euro ließ
    ich mir bar auszahlen, woraufhin ich einen misstrauischen
    Blick von der Bankangestellten erntete, die mich sonst nur
    wesentlich bescheidenere Beträge abheben sah. Aber mir
    war ihre Irritation mehr als egal und ich steckte das ganze
    Geld gleichgültig in meinen Geldbeutel.
    Ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich tatsächlich
    stark genug wäre, meinen verrückten, riskanten Plan tatsäch-
    lich auszuführen. Aber eines wusste ich. Es gab kein Zurück
    mehr. Es war eine reine Verzweiflungstat, das war klar. Aber
    es war nötig, um die Welt, wie sie jetzt war, aus den Angeln
    zu heben.
    Ich stolperte erleichtert aus der Bank, da ich wenigstens
    den ersten Punkt auf der Liste abhaken konnte. Draußen an
    der frischen Luft erwartete mich ein rauer Märzwind, der an
    meinen Wangen riss. Es war zwar erst Mitte März, aber das
    Aprilwetter kam in diesem Jahr schon früher. Ständig war
    es bewölkt und es regnete an jedem verdammten Tag. Auch
    wenn sich die Leute über nichts anderes beklagten, kam es
    mir eher natürlich vor, so als hätte sich meine Stimmung
    mit dem Wetter verbündet. Sonnenschein und blauer Him-
    mel wären jetzt ohnehin unerträglich gewesen. Der nächste
    Schritt auf meiner Liste würde weit schwieriger werden als
    die Geldbeschaffung.
    Wieder zu Hause angelangt, musste ich schnell handeln.
    Die Zeit lief mir davon. Ich musste noch einiges schaffen,
    ehe die Bibliothek schloss. Und bei dieser Aufgabe war das
    Timing entscheidend. Ich nahm mir das Handy und wählte
    Serafinas Nummer, die ich auswendig gelernt hatte, weil ich
    sie nicht abspeichern durfte. Mit nervösem, krampfendem
    Magen horchte ich auf den Wählton. Serafina ging nicht
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    ran. Vielleicht war sie in Weißrussland auf ihrem Beobach-
    tungsposten und hatte es auf lautlos geschaltet. Ich hatte
    keine Zeit und noch weniger Geduld, ihr so lange hinter-
    herzutelefonieren, bis ich sie persönlich erreichen würde.
    Als die automatisch programmierte Stimme die Nummer
    zu Ende gesprochen hatte, hinterließ ich nach dem Piepton
    eine Nachricht und versuchte dabei nicht ganz so verstörend
    zu klingen, wie mir tatsächlich zumute war.
    „Serafina, hier ist Joe. Istvan wird dich bald brauchen. Du
    musst nach Hause kommen und dich um ihn kümmern. Du
    weißt, was ich dir versprochen habe. Ich fürchte, ich muss
    tun, worum du mich gebeten hast. Ich habe so lange ver-
    sucht, mich dagegen zu wehren, dagegen anzukämpfen, aber
    er hat aufgegeben. Nur deshalb tue ich das. Serafina, pass
    gut auf ihn auf, er braucht dich jetzt mehr denn je. Und bit-
    te …! Sag ihm, dass ich ihn liebe. Mach ihm das klar, ja?“
    Ich legte so schnell ich konnte auf, bevor meine Stimme
    völlig wegbrach. Ich atmete ein paar Mal durch den Mund
    ein und aus. Zum einen, um den pochenden Schmerz in mei-
    ner Magengrube wegzuatmen, und zum anderen, um den er-
    neuten Heulkrampf von mir fernzuhalten, der sich bereits in
    meiner Stimme ankündigte.
    Drei Uhr. Nur noch eine Stunde, dann würde die Büche-
    rei schließen. Ich schnappte mir den Laptop, den ich schon
    letzte Nacht gepackt hatte, und warf ihn auf den Küchen-
    tisch. Mit unsicheren, aber schnellen Schritten ging ich ins
    Bad und räumte mit einer einzigen Wischbewegung alles
    in eine riesige Tasche, was um das Waschbecken herum
    stand. Dann ging ich in mein Zimmer und schnappte mir,
    ohne auch nur einmal nachzuzählen, so viel Unterwäsche
    und Kleidung, wie ich in den braunen Reisekoffer hinein-
    bringen konnte. Darauf schmiss ich eine Bürste und zwei
    Badetücher. Mit ein paar kraftvollen Bewegungen versuchte
    ich, den Koffer zu schließen.
    Als ich das Gepäck zum Laptop und der anderen Tasche
    stellte, bekam ich Skrupel, als ich sah, dass es fast vollbracht
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    war. Wieder einmal wurde mir allzu deutlich bewusst, wie
    gemein, unfair und niederträchtig mein Plan und sein grau-
    sames
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