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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde
Autoren: Marcia Muller
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    Ich ließ den vollgeschriebenen
Notizblock auf den Schreibtisch fallen, trat an das hohe Bogenfenster, das auf
die San Francisco Bay hinausging, und winkte dem Steuermann eines
vorüberfahrenden Schleppers übermütig zu. Er schaute herüber, hielt mich
vermutlich für völlig durchgedreht, winkte dann aber zurück.
    Meine gute Laune rührte von dem
Nachmittagsmeeting, das ich mit sämtlichen Angestellten in unserem frisch
renovierten Konferenzraum abgehalten hatte — eine Versammlung, bei der alle
anwesend sein mussten und niemand ans Telefon gehen durfte, weil wir die finanzielle
Situation und die leuchtenden Zukunftsaussichten von McCone Investigations
besprachen. Am Ende der Sitzung waren die anderen ebenso ausgelassen wie ich.
    Unser Geschäftsvolumen hatte sich in
den letzten beiden Jahren verdreifacht. Im letzten Jahr dann hatten wir
sämtliche Büros im ersten Stock der Nordseite von Pier 24 1/2 übernommen. Mein
Neffe Mick Savage leitete jetzt die Abteilung für Computerforensik und stand
kurz davor, einen zweiten Fachmann einzustellen. Seine Lebensgefährtin
Charlotte Keim brach unter ihren Finanzermittlungen beinahe zusammen — sie
recherchierte nach stillen Reserven, spürte Angestellte auf, die mit
Firmengeldern abgetaucht waren, und behandelte alle übrigen Fälle von
Wirtschaftskriminalität. Daher hatte ich ihr genehmigt, zwei zusätzliche
Mitarbeiterinnen einzustellen. Craig Morland, ein ehemaliger FBI-Agent,
leistete unschätzbare Arbeit in allen politischen Fragen und war zudem ein
verdammt guter Mann vor Ort. Meine neueste Errungenschaft, Julia Rafael, hatte
sich zu einem ausgezeichneten Allroundtalent entwickelt. Meiner Ansicht nach
würden Craig und Julia eines Tages eine eigene Abteilung führen. Mein
Büroleiter Ted Smalley musste sich erst noch für eine Assistentin entscheiden,
die seinen strengen Anforderungen entsprach. Ich konnte mich gar nicht an all
die Namen erinnern, die durch sein Büro gegeistert und dann wieder verschwunden
waren, doch zweifelte ich nicht daran, dass irgendwann die Person auftauchen
würde, die Ted zur »Königin der Klarsichthüllen« machen würde.
    Keine schlechte Ausgangssituation für
eine Frau, die früher in einer umgebauten Abstellkammer in einer Kanzlei für
Armenrecht gearbeitet hatte. Dennoch vermisste ich manchmal die Zeit, in der
meine Generation noch fest geglaubt hatte, sie könne die Welt verändern. Darum
stand am Fenster dieses geräumigen Büros am Pier auch noch der schäbige alte
Sessel aus dem alten Büro, in dem mir einige meiner besten Ideen gekommen waren
— heute natürlich bedeckt mit einem geschmackvollen handgewebten Überwurf. Ich
ließ mich hineinfallen und sonnte mich in meiner beruflichen Glückssträhne.
     
    Ich genoss noch die Nachwirkung des
Meetings und sah dabei über einige persönliche Fragen, die mich schon länger
quälten, geflissentlich hinweg, als das Telefon klingelte. Ich stand auf und meldete
mich.
    Ted. »Komm lieber schnell her!«
    Etwas stimmte nicht. Ganz und gar
nicht. So viel zum Thema Genuss.
    Ich hängte ein. Als ich nach draußen
eilte, hörte ich noch die Worte »... zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann
und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden.«
    Zwei Männer oben an der Treppe.
Polizisten in Zivil. Einen davon kannte ich. Er stand bereit, um seinem
Kollegen zu helfen, der sich bemühte, Julia Rafael Handschellen anzulegen. Sie
trat ihm vors Schienbein, versuchte seinem Griff zu entkommen. Dahinter sah ich
Ted und Mick, die mich hilflos und verwirrt ansahen, als ich in den Raum kam.
    »Sie haben das Recht, mit einem Anwalt
zu sprechen...«
    »Was geht hier vor?«, fragte ich
energisch.
    Bevor die Männer etwas sagen konnten,
schrie Julia: »Hilf mir, Shar! Ich hab nichts getan!« Dann verließen sie die
Kräfte, und sie brach zusammen, wobei sie den Beamten beinahe mitriss.
    Dieser fand sein Gleichgewicht wieder
und fuhr fort: »... und einen Anwalt bei sich zu haben...«
    Er beendete die Verlesung ihrer Rechte
und riss sie an den Handschellen vom Boden hoch. Sie schrie auf vor Schmerz.
Ich warnte ihn: »Immer langsam, es gibt Zeugen hier.«
    Er beachtete mich nicht.
    Ich wandte mich an den anderen
Kriminalbeamten. August Williams, ein Inspector vom Betrugsdezernat des San
Francisco Police Department. Ich hatte ihm mehrfach Hinweise geliefert, über
die ich zufällig gestolpert war. »Was werfen Sie ihr vor, Augie?«
    »Ms Rafael wird des schweren Diebstahls
beschuldigt«,
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