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Wo ich zu Hause bin

Wo ich zu Hause bin

Titel: Wo ich zu Hause bin
Autoren: Anselm Gruen
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bei sich daheim sein zu können.
    IMPULS
    Wenn du an deine Heimat denkst, was fällt dir ein? Welche Gerüche steigen in dir hoch? Welche Erinnerungen an Feste und Feiern, an Weihnachten und Ostern, an Adventszeit und Fastenzeit tauchen in dir auf? Was ist das Grundgefühl, wenn du an die ersten Jahre in deiner Heimat zurückdenkst? Was ist deine Herkunft, woher kommst du, und als wer kommst du jetzt in diesen Augenblick? Was prägt dich? Was sind Schätze, die du mit der Heimat verbindest? Wo tauchen aber auch Gefühle von Enge und Unheimlichkeit, von Bedrohung und Angst auf? Oder ist Heimat bei dir immer nur mit dem Gefühl von Geborgenheit, Eingebettetsein in den Strom des Lebens verbunden? Was verdankst du deiner Heimat? Was hast du in deiner Heimat gelernt und was hast du als Rüstzeug für dein jetziges Leben mitgenommen?

Die Heimat verlassen

D as Thema Heimat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch die vielen Heimatvertriebenen in den Mittelpunkt gerückt. In den Jahren 1944–1946 wurden Millionen von Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen vertrieben und mussten sich im Westen eine neue Heimat suchen. Oft waren sie dort gar nicht so willkommen, denn in der kargen Nachkriegszeit wurden sie von der Dorfbevölkerung als Belastung und als Störenfriede empfunden. Doch da sie der Heimat beraubt waren, ergriffen sie alle Möglichkeiten, sich beruflich zu engagieren.
    Der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg wäre ohne die vielen Heimatvertriebenen so nicht gelungen. Sie standen oft an der Spitze der Bewegung. Sie haben sich in die neue Heimat integriert. Doch zugleich entstand die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Sie haben jährlich Treffen der Heimatvertriebenen organisiert. Dort wurde oft die Heimat idealisiert. Und oft genug wurden auch Forderungen nach Recht auf die alte Heimat laut. Zu weh taten die Wunden, die die Vertreibung in ihnen geschlagen hatten, als dass sie das Unrecht vergessen konnten, das ihnen angetan wurde. Erst in späteren Jahren wurden dann die Töne der Versöhnung immer lauter.
    Krockow schreibt von diesen Heimatvertriebenentreffen, dass den meisten nicht die politischen Töne wichtig waren, sondern das Zusammentreffen: »Die Verwandten und Bekannten, die alten Freunde und Nachbarn wollen sich wieder sehen, die weit zerstreut wurden. Das ist so konkret wie in den Unterteilungeneng umgrenzt: nicht aufs Weltläufige kommt es an, kaum auf die Provinz, sondern auf die eine Stadt oder die zwei, drei Dörfer. Denn dort war man zu Hause, dort ist die Heimat, und was sie bedeutet, das kann ganz nur ermessen, wer sie wirklich verlor.« 13 In Gesprächen mit Heimatvertriebenen wird mir deutlich, was Heimat für sie bedeutet. Ein befreundeter Architekt, der aus dem Sudetenland schon als Kind vertrieben wurde, erzählte mir, wie ihn das Thema Heimat umtreibt. Er weiß, dass das Sudetenland keine Heimat für ihn ist. Und doch musste er nach Öffnung der Grenzen unbedingt einmal dorthin fahren, um die Atmosphäre zu eratmen, zu erspüren, zu ertasten, die ihn als Kind dort umgeben hat. Er konnte letztlich nicht benennen, was das Gefühl von Heimat für ihn ist. Aber er spürt, dass ihm, je älter er wird, desto mehr das Thema Heimat umtreibt und ihn in Berührung bringt mit seiner wahren Identität, mit seinem Selbst, das Wurzeln hat in einer Welt, die lange für ihn verschlossen war.
    Schon vor den Millionen Heimatvertriebenen nach dem Krieg wurden Tausende von Juden und Intellektuellen ab 1933 aus der Heimat vertrieben, weil sie mit ihren Anschauungen oder wegen ihrer Herkunft im Nazideutschland nicht mehr bleiben konnten. Es entstand das Heer der Exilanten. Oft waren es Dichter. Sie haben nicht den Orten in Deutschland nachgetrauert. Für sie war die deutsche Sprache ihre Heimat. Allerdings mussten sie miterleben, wie diese Sprache im Dritten Reich missbraucht und verunstaltet wurde, wie sie zur »Sprache des Unmenschen« wurde.
    Heute leben unter uns viele Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Da sind die Gastarbeiter, die Flüchtlinge, die Asylanten. Und es sind die vielen Menschen, die wegen ihrer Arbeit immer wieder an anderen Orten leben müssen. Für sie alle ist die große Frage, wo sie sich daheim fühlen und was für sie Heimat bedeutet. Manche Türkinnen leben noch so stark in ihrer Heimat, dass sie gar kein Bedürfnis haben, die Sprache ihres Gastlandes zu lernen. Andere fühlen sich in Deutschland zu Hause. Sie möchten nicht mehr zurück. Aber bei all den
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